Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
Blick. Es tut mir weh, sie so leiden zu sehen und nichts tun zu können. Ich weiß, dass sie Hilfe von mir erwartet, aber ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll.
Als ich nichts unternehme, blickt sie orientierungslos zu den anderen D-lern. Einer von ihnen ist nach vorne getreten und wartet darauf, dass sie ihren Platz an seiner Seite einnimmt. Er muss D541 sein. Er wirkt wie alle anderen. Nicht zu groß oder (und nicht) zu klein. Ein kahler Kopf, große, lichtblaue Augen, eine gerade Nase, wohlproportionierte Lippen und ein schlanker Körper mit leichten Muskeln an den Oberarmen. Der perfekte Mann. Ich kann von der Tribüne aus nichts erkennen, was ihn zu etwas Besonderem machen würde. Aber ich bin sicher, dass dort etwas sein muss, hinter der Fassade.
Als Zoe ihm entgegentritt, schwanken ihre Beine sichtbar für alle. Ein leises Keuchen dringt aus ihrer Kehle, während Tränen über ihre Wangen laufen. Sie würdigt D541 nicht eines Blickes, stattdessen presst sie ihre Lippen fest aufeinander, um nicht zu schluchzen. Sie starrt mir entgegen, so als wolle sie sagen, dass das meine Schuld sei.
Obwohl ich mich vor dem Besuch fürchte, sehe ich es als meine Pflicht an, Zoe zu besuchen, bevor die Befruchtung bei ihr durchgeführt wird. Die Krankenstation ist so belebt, wie ich sie zuvor noch nie erlebt habe. Durch die Gänge rennen Ärzte in ihren grünen Anzügen, gefolgt von D-lern in braunen und Kämpfern in blauen Anzügen. Heute werden bereits allen Männern der vierten und fünften Generation die Samen entnommen, um diese ab dem nächsten Morgen bei den Frauen gemäß der bereits feststehenden Paarungen einzusetzen.
Zoe befindet sich in einem großen Zimmer, zusammen mit zwei anderen D-lerinnen, die ebenfalls befruchtet werden sollen. Als sie mich durch die Tür treten sieht, springt sie erleichtert von ihrem Bett auf und rennt mir in ihrem braunen Nachthemd barfuß entgegen.
„ Endlich bist du da! Ich hatte schon Angst, dass du nicht mehr kommst. Wie sieht dein Plan aus?“, überfällt sie mich aufgeregt. Die Wahrheit ist, es gibt keinen Plan. Aber das kann ich ihr so nicht sagen. Behutsam lege ich meine Hand auf ihren nackten Oberarm und führe sie zurück zu ihrem Bett.
„ Setz dich bitte“, fordere ich sie auf. Doch Zoe schüttelt nur verständnislos den Kopf. „Warum? Wir haben keine Zeit. Der Eingriff soll schon morgen früh erfolgen. Wirst du mich verstecken?“
„ Bitte setz dich“, wiederhole ich erneut, dieses Mal schärfer als beabsichtigt. Ich sehe die auflodernde Panik in ihren Augen, doch sie gehorcht und lässt sich kraftlos auf das Bett zurücksinken, jedoch ohne mich aus den Augen zu lassen.
„ Was hast du vor?“, fragt sie erneut, doch nun zittert ihre Stimme. Sie hat Angst und ich kann es ihr nicht verdenken.
Seufzend setze ich mich neben sie. „Ich will ehrlich zu dir sein. Ich weiß nicht, was ich tun soll“, gestehe ich ihr entschuldigend.
Ungläubig schüttelt Zoe nur den Kopf. „Aber es muss doch irgendetwas geben, was du tun kannst...“
„ Ich kann dich nicht einfach entführen und hier rausschleusen. Alle Gänge werden bewacht, gerade jetzt. Die Kämpfer sind in höchster Alarmbereitschaft. Zum einen wegen der Paarungszeit und zum anderen wegen der drohenden Angriffe durch die Rebellen. Es war nie schwerer als jetzt zu entkommen.“
„ Aber es ist nicht unmöglich, oder?“
Ich höre die langsam sterbende Hoffnung in ihrer Stimme. Es bricht mir das Herz, ihr zu antworten.
„ Doch, das ist es.“
Ihre Finger krallen sich in den weißen Stoff der Bettdecke, während ihre Lippen erneut zu beben beginnen. Die Tränen glitzern in ihren Augen, aber bevor sie sich einen Weg über ihre Wangen bahnen können, kneift sie entschlossen die Lieder zusammen und schüttelt wütend den Kopf.
„ Du bist Legionsführerin und du sagst mir, du kannst nichts tun. Das glaube ich dir nicht!“
Es ist wieder einer der Momente, in denen ich es hasse, ernannt worden zu sein. Es wäre so viel leichter, nur eine von vielen zu sein.
„ Wenn es um dich ginge, würdest du einen Weg finden“, behauptet Zoe erbost und funkelt mich verächtlich an. Sie hasst mich dafür, dass ich nicht zusammen mit ihr auf meine Befruchtung warte. Aber was wäre, wenn ich heute genau wie sie hier sitzen würde? Würde ich versuchen zu fliehen? Immerhin ist es nur eine künstliche Befruchtung. Ich würde keinerlei Körperkontakt zu dem fremden D-ler haben. Er ist nur der Samenspender, mehr
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