Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
und ihm sogar eine geknallt.“ Sie schaut beschämt zu Boden. „Aber nichts davon hat geholfen. Es scheint fast so, als würde er sich mit Händen und Füßen gegen jede Erinnerung wehren, und je mehr ich es versuche, desto mehr Abstand sucht er zu mir. Ich bin wirklich ratlos“, gesteht sie mir verzweifelt. Mitfühlend nicke ich ihr zu. Ich verstehe sie nur zu gut, aber genau das ist das Problem. Je mehr wir uns wünschen, dass Finn sich erinnert, und je mehr wir ihn bedrängen, umso mehr verlieren wir ihn. Es hat mich ohnehin schon gewundert, dass er überhaupt bereit war, mit an dem Training teilzunehmen. Das überzeugende Argument war, dass sich so sein Ranglistenplatz bei der Paarung verbessern könnte. Es geht ihm alleine darum und nicht etwa darum, mit uns Zeit verbringen zu können.
Trotzdem steuere ich nun langsam auf ihn zu, weil ich es einfach nicht ertrage, ihn alleine an der Mauer stehen zu sehen. Egal, ob er sich erinnert, selbst wenn er sich nie mehr erinnert, ist er ein Teil von uns.
Er schaut misstrauisch auf, als ich vor ihm stehe, ohne etwas zu sagen.
„ Na, wie lief das Training?“, frage ich ihn und lasse mich neben ihm zu Boden gleiten. Erstaunlicherweise folgt er meinem Beispiel und setzt sich neben mich.
„ D523 ist eine Niete. Sie gibt sich gar keine Mühe“, bemängelt er mit einem abwertenden Blick in Zoes Richtung. Auch sie schaut zu uns herüber und streckt ihm die Zunge raus, als sie seinen Blick bemerkt. Finn schaut schnell wieder weg. Er kann mit ihrer Geste nichts anfangen, während ich leise kichern muss.
„ Und Asha?“
Ich benutze gezielt unsere Namen und nicht etwa die Bezeichnungen. Ich habe Finn, bevor wir in die Arena gingen, noch einmal alle namentlich vorgestellt, aber er weigert sich offensichtlich trotzdem, diese auch anzunehmen.
„ Sie ist besser und hat wenigstens Ehrgeiz. Sie weiß, worum es geht.“
„ Hast du gegen sie gewonnen?“, frage ich ihn lächelnd.
„ Ja“, antwortet er stolz und erwidert unsicher mein Lächeln. Es fällt ihm mit jedem Tag ohne seine Erinnerung immer schwerer, Emotionen umzusetzen.
Trotzdem bin ich froh, dass die Kämpfe für ihn so gut laufen. Eigentlich hatten wir damit gerechnet, dass er der Schlechteste von uns sein würde, da er zuvor nie Unterricht erhalten hat, aber er erweist sich als Naturtalent. Wer weiß, vielleicht wäre er jetzt wie Clyde ein Kämpfer, wenn er von Geburt an in der Legion aufgewachsen wäre. Oder sogar ein Legionsführer wie ich.
Wir schweigen für einen Moment und blicken über das Kampffeld zu der Tribüne, auf der sonst die Legionsführer Platz nehmen. Unsere Arme berühren sich dabei leicht und ich spüre, wie ich eine leichte Gänsehaut bekomme. Obwohl er nicht mehr der Alte ist, hat seine Anziehungskraft auf mich nicht abgenommen.
„ Bist du eigentlich noch traurig?“, fragt er plötzlich und wendet mir das Gesicht zu. Überrascht schüttele ich den Kopf. Mit dieser Frage hätte ich nicht gerechnet. Ich hätte nicht gedacht, dass er sich darüber weiter Gedanken macht, aber offensichtlich hat er genau das getan. Er hat an mich gedacht. Diese Erkenntnis bringt mein Herz zum Klopfen und meine Hände werden leicht zittrig.
„ Das ist gut“, erwidert er erleichtert. Ich habe das Gefühl, dass er noch mehr sagen möchte, aber er zögert und blickt sich fast hilfesuchend in der Gegend um. Gedankenverloren wühlt er mit seinen Fingerspitzen den Sand neben seinen Beinen auf.
„ Ich wollte dir auch noch etwas sagen“, beginnt er stockend. Die Worte gehen ihm nicht leicht über die Zunge. „Ich glaube dir jetzt.“
„ Was genau meinst du?“
„ Ich glaube dir und D523, dass ich der bin, für den ihr mich haltet.“
„ Erinnerst du dich wieder an etwas?“, frage ich sofort neugierig. Doch Finn schüttelt den Kopf.
„ Nein, aber ich weiß, dass du mich nicht belügen würdest. Du bist ehrlich.“
Sein blindes Vertrauen berührt mich. Anscheinend habe ich doch nicht alles falsch gemacht.
„ Ich weiß, dass du und D523 euch nichts mehr wünscht, als dass ich mich wieder erinnere, aber ich weiß gar nicht, ob ich das überhaupt möchte. Um ehrlich zu sein, habe ich ziemlich Angst davor.“
„ Warum?“, will ich entsetzt wissen. Er wehrt sich offenbar tatsächlich gegen seine eigene Erinnerung.
„ Dieser Finn scheint mir kein guter Mensch zu sein. Er ist ein Verräter und ein Verbrecher. Ich möchte so jemand nicht sein. Es gefällt mir in der Legion. Ich mag meine Aufgabe
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