Radioactive (Die Vergessenen) (German Edition)
alles unter den dicken Stoffschichten verborgen ist. Aber ich brauche das Gesicht nicht zu sehen, um zu wissen, dass es sich bei der Gestalt vor mir weder um einen Bewohner der Legion noch um einen Rebellen handelt.
„ Was tust du hier?“, reißt mich eine wütende Stimme aus meinen Gedanken, sodass mir mein Herz vor Schreck fast stehen bleibt. Erschrocken fahre ich herum und blicke in das hochrote Gesicht von A233.
„ Ich…ich…“, beginne ich sprachlos zu stottern, bis mir einfällt, dass meine Manipulationsversuche gar nicht mehr auf den Bildschirmen zu sehen sind. Ich schlucke und straffe meine Schultern. Nicht ich bin es, die hier in Erklärungsnot geraten sollte. „Ich habe eine Sichtung bei den Außenaufnahmen gemacht. Dort ist eine Person!“, stoße ich hervor und deute auf den Bildschirm, auf dem nach wie vor die vergrößerte Aufnahme der fremden Gestalt zu sehen ist.
„ Person wird dem Wesen dort wohl nicht gerecht“, murmelt A233 und starrt auf den Bildschirm, so wie andere Menschen eine giftige Schlange zu ihren Füßen betrachten würden.
„ Was ist es dann?“
Wir blicken beide wie gebannt auf den Monitor. In dem Moment dreht sich die Gestalt plötzlich in unsere Richtung und ein Teil der Fellschichten verrutscht und gibt den Blick auf das Gesicht frei. Doch als Gesicht ist es kaum zu erkennen. Anstelle einer Nase klafft ein großes Loch. Der Mund ist wie zu einem schiefen Lächeln in die rechte untere Gesichtshälfte verzogen. Die Stirn ist nach vorne gebogen, sodass die kleinen Augen kaum zu erkennen sind. Dazu ist die restliche Haut von vielen geröteten Pusteln übersät.
„ Einige würden es Monster nennen, andere würden vielleicht den Begriff Zombie benutzen. Aber wir nennen sie Mutanten.“
Völlig sprachlos starre ich sie an. In dem Augenblick stößt A350 zu uns. Ihre Augen weiten sich entsetzt, als sie die Gestalt auf dem Monitor erkennt. Danach wandern ihre Augen direkt zu mir. Ein Blick in mein Gesicht genügt, um ihr deutlich zu machen, dass sie gar nicht erst zu versuchen braucht, sich eine weitere Ausrede auszudenken.
„ Wie viel hast du ihr schon gesagt?“, wendet sie sich an A233.
A233 schüttelt den Kopf. „Nicht viel…“
„ Nicht genug“, unterbreche ich sie wütend. „Warum hat mir niemand früher davon erzählt? Ist das der wahre Grund für die Strommauer?“
„ Nicht nur“, gesteht A350 geknickt. „Aber mittlerweile wissen wir, dass die Radioaktivität nicht mehr stark genug ist, um länger gesundheitsgefährdend zu sein.“
„ Warum nennt ihr sie Mutanten?“
„ Weil es Mutanten sind. Einst waren sie Menschen wie wir, aber das war zu Zeiten des dritten Weltkriegs. Sie erreichten keine Legion und wurden der Strahlung ausgesetzt, dabei haben sich ihr Körper und auch insbesondere ihre Gene verändert. Sie haben verformte Gliedmaßen, aber gleichzeitig verfügen sie über einen anderen Stoffwechsel, der sie kaum altern lässt und dazu noch stärker als jeden Menschen macht“, schließt A350.
A233 fährt fort: „Das alles wäre nicht schlimm, wenn sie nicht ihren ganzen angestauten Hass auf uns richten würden. Wir sind für sie der Feind, weil wir die Radioaktivität überlebt haben. Weil wir Schutz in den Legionen gefunden haben, der ihnen verwehrt blieb. Weil wir noch aussehen wie Menschen und nicht wie Monster. Für all das rächen sie sich an uns, indem sie unsere Leute töten und essen, wann immer sie die Chance dazu bekommen. Ich wette, von den Überlebenden der nördlichen Legion ist nicht mal mehr einer am Leben.“
Ungläubig schüttele ich den Kopf und starre auf den Monitor, doch die Gestalt ist verschwunden. Auch auf keinem anderen Bildschirm ist sie mehr zu sehen. Das ist also die geheimnisvolle Sichtung, die sie mir die ganze Zeit verheimlicht haben.
„ Was unternimmt die Legion gegen sie?“
„ Die Zentrallegion plante einen gemeinsamen Angriff zur endgültigen Vernichtung der Mutanten, aber das war vor den Angriffen durch die Verstoßenen. Solange wir so große Probleme innerhalb der Schutzzone haben, ist ein Angriff nach außen nicht möglich.“
A233 und A350 haben mich verpflichtet, Stillschweigen über die äußere Bedrohung zu bewahren. Über dieses Thema ist es nur erlaubt mit anderen Legionsführern zu sprechen. Das bedeutet für mich, besonders nichts Finn und den anderen zu sagen. Nicht einmal Clyde, der ein Kämpfer ist, darf ich mich anvertrauen. Dementsprechend gedämpft ist meine Stimmung, als ich mit
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