Rächer des Herzens (German Edition)
heraufkommen hören, und nun wurde ihr schlagartig und mit angstvollem Herzklopfen bewusst, dass diese Person, wer auch immer sie war, schon hier gewesen sein musste, um im zweiten Bodenraum zu warten …
Als ein Schatten auf sie fiel, sah sie auf.
„Guten Tag, Lady Stockhaven“, sagte eine Stimme hinter ihr. „Ich sehe, dass Sie mir einen Schritt voraus sind.“
Mr. Owen stand da, auf einen Stock mit Goldknauf gestützt. Er sah genauso kränklich aus wie in dem Ballsaal, jetzt aber war noch etwas anderes an ihm wahrzunehmen. Die schiefergrauen Augen waren kälter und hatten einen härteren Ausdruck als bei dem früheren Zusammentreffen. Isabella überlief ein Schauder.
„Ich glaube wirklich“, fügte Owen gelassen hinzu, „dass Sie mir fast immer einen Schritt voraus waren.“
„Ja, ich denke, das stimmt“, antwortete Isabella. „Mr. Warwick?“
Er neigte zustimmend den Kopf. „Genau der. Sie wissen von mir?“
„Ich habe … von Ihnen gehört.“
„Stockhaven hat nach mir gesucht, denke ich“, sagte Warwick. „Ich habe mich gefragt, ob er das Ihnen gegenüber wohl erwähnt hat.“
Isabella stand langsam aus der kauernden Stellung auf. Warwick machte keinen Versuch, sie aufzuhalten. Trotzdem hatte sie Angst. Sie spürte eine gewisse Spannung und eine seltsame Kälte in der Luft. Und sie hatte nichts, womit sie sich verteidigen konnte.
„Warum sind Sie gekommen?“, fragte Isabella.
Warwick lächelte. Er stand gegen die Kante der zweiten Truhe gelehnt und beobachtete sie. „Wegen der Vergangenheit“, antwortete er. „Und wegen meines Sohnes.“
„Wir haben uns schon einmal getroffen“, sagte Isabella vorsichtig. Er hatte die Vergangenheit erwähnt, und sie knüpfte daran an. „Ich glaube, es war 1803, bei dem Ball in Salterton. Sie haben mit meiner Cousine getanzt.“
Ein dünnes Lächeln spielte um Warwicks Mund. „Jeder wollte immer nur mit Ihnen tanzen“, sagte er. „Sie waren die Schönste von allen. Ich aber wollte von Anfang an Miss Southern.“
Er neigte den Kopf nachdenklich zur Seite. „Sie haben mich nicht erkannt, als wir uns vor vierzehn Tagen trafen, nicht wahr?“, sagte er. Dann fuhr er fort: „Das ist auch kaum überraschend, so wie ich mich verändert habe.“
Isabella konnte ihm nur zustimmen. Da war nichts mehr von dem flotten Leutnant mit der kecken schrägen Kopfhaltung und dem draufgängerischen Blitzen in den Augen. Nichts mehr von dem rebellischen Geist, der India angezogen hatte wie eine Motte zur tödlichen Flamme. Durch Krankheit war all das ausgelöscht worden. Isabella erkannte das, und in ihr kam Mitgefühl, aber auch Überraschung hoch. Sie hatte nicht erwartet, dass sie für Edward Warwick Mitgefühl empfinden könnte. Langsam öffnete sie das Skizzenbuch und zeigte ihm die Zeichnung.
„Hier ist eine Zeichnung, Mr. Warwick“,sagte sie.„Ich glaube, sie stellt Ihren Sohn dar. Er trägt Ihren Namen.“
Die Blässe auf Warwicks Gesicht wurde noch ausgeprägter, und er umfasste fest den Knauf seines Stockes.
„War da nichts anderes?“, fragte er ohne jede Gemütsbewegung, als ob er Bemerkungen über das Wetter machte.
„Bedauerlicherweise nicht“, antwortete Isabella, dachte dabei aber an das Medaillon, das sie auf Marcus’ Schreibtisch gelassen hatte. Es schien ihr, als ob es Warwick zustünde. Sie wollte etwas sagen, schloss den Mund aber wieder.
Warwick seufzte. „Natürlich waren keine Dokumente zu finden. Ich habe überall gesucht, müssen Sie wissen, Lady Stockhaven. Es gibt keine Spur davon.“ Dann nahm er das Medaillon aus seiner Jackentasche und zeigte es ihr. Isabella stockte der Atem.
„Sie erkennen es?“, fragte er leise.
Isabella nickte schweigend.
„Ich wusste, dass es eine Falle war“, fuhr Warwick fort. „Ihr Bruder hatte es angeblich gefunden und ließ es mir zukommen.“ Dabei schwang er das Medaillon an dem Silberkettchen hin und her. „Lord Standish arbeitet seit sechs Jahren für mich“, fügte er in verbindlichem Ton hinzu. „Und während dieser ganzen Zeit habe ich erfahren, dass er nicht einmal einen Krug in einer Schenke würde finden können. Die Wahrscheinlichkeit, dass er ein Versteck mit wertvollen Dingen von Miss Southern finden würde, war daher äußerst gering.“ Sein Lächeln war eiskalt, und Isabella verspürte ein Frösteln. „Trotzdem“, fügte er hinzu, „bin ich gekommen, weil ich verzweifelt war. Das Einzige, womit ich nicht gerechnet habe, waren Sie.“
Höflich neigte sie den
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