Rächerin der Engel
nicht. Dass Anthony Haddad jetzt auch zu den Verdächtigen zählte, passte ihr in keiner Weise, und zwar aus allerlei Gründen.
Aber er war nicht im Zimmer gewesen, als die Waffe losgegangen war. Das fiel erheblich ins Gewicht.
Denn wenn er nicht im Zimmer gewesen war, wie hätte er es dann anstellen sollen, den Schuss abzufeuern? Bree reckte den Hals, um an Antonia vorbeizublicken. Da stand er, das Klemmbrett unter dem Arm, die Sonnenbrille bis über die Stirn geschoben, und sah wahnsinnig hinreißend aus.
Er klatschte in die Hände. Augenblicklich trat Stille ein. »Bitte alle hinsetzen. Obwohl wir uns in Tullys Salon befinden, ist das hier eine Vorsprechprobe. Dafür brauche ich absolute Ruhe .«
Bree war sich ziemlich sicher, dass mindestens die Hälfte der Anwesenden nicht zu atmen wagte, solange Tony nicht die Erlaubnis dazu gab.
»Okay? Können wir loslegen? Wir haben heute drei Schauspielerinnen hier, die darauf aus sind, mich vom Hocker zu reißen. Also setzt euch und genießt das Ganze, Leute. Andrea Colville? Ah, da sind Sie ja, Andrea. Ich habe alle drei gebeten, die letzte Szene vom Wintermärchen einzustudieren. Sie lesen die Paulina.«
Bree wusste nicht viel vom Wintermärchen (um die Wahrheit zu sagen, hatte sie von Shakespeare insgesamt nicht viel Ahnung). Immerhin wusste sie, dass das Stück die berüchtigte Bühnenanweisung »er entflieht, von einem Bären verfolgt« enthielt, und dass es in dem oft kritisierten Plot unter anderem darum ging, die Frau eines Königs von den Toten zurückzuholen.
Barrie Fordham stieg auf den Hocker vor dem Flügel, hob die Hände und verwandelte sich auf geradezu magische Weise in eine trauernde Statue. Sir Ciaran stellte sich neben sie.
Im Handumdrehen wurde er zu einem König. Majestätisch. Herrisch. Arrogant. Vor Bewunderung stockte Bree der Atem.
»Sie stellt Hermione dar, die Frau von König Leontes«, flüsterte Antonia Bree ins Ohr, »die sozusagen zur Statue erstarrt ist und von Paulina zum Leben erweckt wird.«
Andrea war schlank und hübsch, und Bree fand sie als Paulina sehr gut. Aber Antonia war noch besser. Brees Meinung nach war Antonia sogar einfach brillant, und als sie die Arme hob und sagte: » Wecke sie, Musik! Zeit ists: sei nicht mehr Stein, komm, steig herab « und Barrie Fordham sich rührte und in der Tat nicht mehr Stein war, hätte Bree am liebsten laut applaudiert und bravo gerufen.
Die dritte Paulina war ein wenig älter als die anderen und konnte Antonia in puncto Schönheit nicht das Wasser reichen. Tony Haddad beendete die Probe in der ihm eigenen lässig-autoritären Art, die alle anderen anstandslos zu akzeptieren schienen, und dankte den Anwesenden. Die Leute teilten sich in kleine Gruppen auf, um miteinander zu plaudern. Der kurze, magische Moment war vorüber, als hätte es ihn nie gegeben.
Als Tony Bree erblickte, winkte er sie zu sich.
»Da sind Sie ja wieder, Miss Winston-Beaufort«, sagte er. »Haben Sie wieder eine Besprechung mit dem Drachen?«
»Mit Tully? Nein. Ich bin nur gekommen, um Antonia anzufeuern. Ich finde, sie war wirklich sehr, sehr gut. Mit Abstand die Beste von den dreien.«
»Sie war die Beste einer insgesamt schlechten Gruppe«, stimmte ihr Tony zerstreut bei. »Aber brauchen kann ich keine von ihnen.« Er blickte an Bree vorbei zum Fenster, wohin die Fordhams sich wieder zurückgezogen hatten. »Und wenn sich Ciaran nicht am Riemen reißt, könnte es sein, dass ich nicht mal ihn brauchen kann.« Sein Gesicht verfinsterte sich, und einen Moment lang wich sein gutes Aussehen einer wütenden Grimasse. »Nach all den Verrenkungen, die ich gemacht habe, damit er zu uns stößt, wartet er mit einer bestenfalls mittelmäßigen Darbietung auf.«
»Ich fand ihn ganz wunderbar«, entgegnete Bree. »Ich meine, ich bin natürlich nicht vom Fach, konnte aber kaum den Blick von ihm wenden.«
»Stimmt«, erwiderte Tony unverblümt. »Sie sind nicht vom Fach. Und es geht einfach nicht, dass er sich nur auf sein Aussehen verlässt. Im Laufe des letzten Jahres wurden seine Darbietungen immer schlechter, und so was lass ich mir nicht länger gefallen, das kann ich Ihnen versichern.«
»Was für Verrenkungen haben Sie denn gemacht, damit die beiden zu den Players kommen?«
Ärgerlich zuckte er die Achseln. »Das Hauptproblem ist Barrie. Ihre Forderungen sind einfach unglaublich. Ich hatte gedacht, dass nach Russells Tod alles wie geschmiert laufen würde, aber da hab ich mich geirrt.«
»Sie mochten Russell
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