Rächerin der Engel
einzige unpassende Element im Zimmer waren die zur Bay Street gehenden Schiebefenster, die genauso altertümlich wirkten wie das Fenster in Franklins Büro. Bree wartete, bis sich Jameson und Payton hingesetzt hatten. Dann nahm sie ein Stück von ihnen entfernt ebenfalls Platz. Nachdem Kaylee eine Weile an einer in die Wand eingebauten Küchenzeile herumhantiert hatte, brachte sie ein Tablett mit einer Karaffe Scotch, zwei Gläsern und einer Tasse Kaffee. Dann huschte sie davon und schloss die Tür hinter sich.
»Sind Sie zum ersten Mal in Savannah, Mr. Jameson?« Bree trank einen Schluck Kaffee und lächelte ihn über den Rand der Tasse hinweg an.
»Ich? Nein, nein. Tully und Russ gaben Ende Dezember immer eine große Party – in ihrem Haus. Ich war schon mehrmals hier.« Er machte eine Pause und fügte – ein offenkundiger Versuch, höflich zu sein – hinzu: »Hübsche Stadt.«
»Uns gefällt sie auch«, erwiderte Bree. »Sie sind gestern Vormittag mit dem Flugzeug aus New York gekommen?«
»Ja.«
»Vom Kennedy Airport geht um zehn Uhr eine Maschine ab.«
»Ja.« Er starrte sie ausdruckslos an.
Bree war nicht auf Strafrecht spezialisiert. Erst seit es Beaufort & Compagnie gab, kam sie mehr oder weniger regelmäßig mit Verbrechern zusammen. Cullen Jameson war ein Gauner, dessen war sie sich ziemlich sicher. Ob er allerdings auch ein Mörder war, das stand auf einem völlig anderen Blatt.
»Ich habe mit Bedauern vernommen, dass Sie Ärger mit der Finanzaufsichtsbehörde hatten«, sagte Bree. Payton gab ein Geräusch von sich, das irgendwo zwischen einem Knurren und einem Rülpsen lag. »Aber es freut mich, dass Ihre Beziehung zu Tully nicht davon beeinträchtigt wurde.«
»Tully und ich kennen uns schon seit ewigen Zeiten.«
»Waren Sie auch ein Freund von Russell?«
»Zum Schluss nicht mehr so sehr.« Er rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Was soll das eigentlich alles?«
»Was wissen Sie über Eddie Chin?«
Verwirrt runzelte er die Stirn. Der Name sagte ihm offenbar nichts.
Payton sprang auf. »Bree, was zum Teufel geht hier vor sich?«
Der zu ihren Füßen liegende Sascha knurrte leise.
Payton kreischte auf. »Wo kommt denn auf einmal der Hund her?«
Bree beugte sich nach unten und tätschelte Sascha den Kopf. »Erinnerst du dich nicht an Sascha?«
»Tiere haben hier keinen Zutritt, verdammt noch mal! Bring ihn sofort raus!«
»Eddie Chin!« Jameson schnipste mit den Fingern. »Dieser schlitzäugige Polizist, stimmt’s? Er war einer der Ermittler bei Russells Selbstmord. Na klar. Ab und zu ruft der Typ bei mir an und nervt mich mit Fragen, und ich sag dann immer, er soll sich verpissen. Was ist denn mit ihm? Ist jemand auf den guten Gedanken gekommen, ihn nach China zurückzuschicken?«
»So ungefähr«, sagte Bree. »Haben Sie ihn seit Ihrer Ankunft hier gesehen?«
Er starrte sie an. »Warum zum Teufel sollte ich ihn denn gesehen haben?«
Sie erhob sich und widerstand der Versuchung, Jameson den Rest ihres Kaffees über den Kopf zu kippen. Von diesem Typ würde sie nur Flüche zu hören bekommen. Sie musste Ron oder Petru auf ihn ansetzen, um herauszufinden, was er seit seiner Ankunft alles gemacht hatte. »Das wär’s, meine Herren. Wenn Sie Fragen zum Vertrag haben, dann schicken Sie mir eine E-Mail.«
Leicht ist’s, hinab zum Hades zu steigen,
Doch schwierig die Rückkehr …
Vergil, Aeneis
Als Bree in ihr Büro zurückkehrte, hatte Mrs. Billingsley bereits Feierabend gemacht. Sie hatte einen Zettel hinterlassen, auf dem sie Bree in schöner Handschrift mitteilte, dass keine Anrufe eingegangen seien und sie das Telefon nun wieder zum Büro in der Angelus Street umgeschaltet habe. Nachdem Bree das Büro abgeschlossen hatte, ging sie zu Fuß in die Angelus Street. Petru, Ron und Lavinia saßen vor dem Kamin und tranken Kaffee. Bree warf ihre Aktentasche auf den Fußboden und ließ sich in den einzigen Sessel sinken, der im Raum stand. Dann sagte sie ohne jede Einleitung: »Heute Morgen habe ich etwas wirklich Interessantes erfahren. Und ich glaube, das könnte uns zu der Person führen, die Eddie Chin ermordet hat.«
»Sehr tragisch, der Tod von Sergeant Chin«, stellte Petru mit ernster Miene fest.
»Ja.« Bree sah, dass er den Savannah Daily auf den Knien liegen hatte. »Haben die Medien viel darüber berichtet?«
»Kann man wohl sagen«, erwiderte Ron. »Schließlich geht es um den Mord an einem Polizisten, und dann auch noch mitten im Touristenviertel von
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