Rätsel des Nordens (Thenasia) (German Edition)
einem recht großen Stück Wald vorbei, geradeaus in nördlicher
Richtung, bis nach fast sieben Meilen das Plateau erreicht wurde, über das
zuvor so lang und breit debattiert worden war. In der Ferne konnte man einen
langen Fluss sehen, der östlich des Plateaus in einen großen See mündete. Die
Gegend erweckte ein starkes Gefühl von Schutz und Geborgenheit, da das Wasser
bildete eine natürliche Grenze gegen Orks und andere Eindringlinge.
Gleichermaßen bot es Fisch im Überfluss an, sodass auch die Auswirkungen von
Missernten gering gehalten werden konnten. Auch der Wald ergänzte die
Landschaft auf eine positive Weise, denn auf eine angenehme Art wurde er
durchflutet vom Tageslicht, sodass die hohen Stämme keineswegs abweisend
wirkten. Sofort nach Ankunft der ersten Menschen wurde sogleich mit dem
Aufschlagen eines neuen Lagers begonnen. Dabei hatte die Vorhut unter Hauptmann
Bhelm bereits ganze Arbeit geleistet: Unter der Regie des Kanzlers – selbst
Thormir benötigte einige Wochen, bis er sich an seinen neuen Titel gewöhnt
hatte – wurden schon die ersten Gräben ausgehoben. Das neue Siedlungsgebiet ward
sorgsam abgesteckt worden. Doch bis die ersten festen Häuser errichtet werden
konnten, sollte noch viel Zeit verstreichen. Die königliche Order gab dabei dem
Errichten von Schutzbefestigungen für Kranke, Frauen, Kinder und Alte oberste
Priorität. Die Angst, plötzlich Ziel eines Orküberfalls zu werden war groß, da
die Zahl der Kundschafter war halbiert worden. Jede Hand wurde für den Bau
benötigt.
Und ob Fügung oder Glück:
Tatsächlich blieben die Menschen in jener Zeit vor schweren Angriffen
verschont. Zu Zwischenfällen kam es immer nur dann, sobald sich entweder wilde
Tiere ins Lager verirrt hatten oder feindliche Späher den Zelten zu nahe
gekommen waren. Und so wurde zum vierten Vollmond im ersten Jahr der
Geschichtsschreibung der Menschen das provisorische Zeltlager von einem tiefen
Graben sowie einer hohen Palisade umgeben. Ermöglicht wurde das schnelle Fertigstellen
der Befestigungen nicht zuletzt durch die Hilfe der Frauen, die zu dieser Zeit
eine Tatkraft an den Tag legten, die nicht selten die der Männer in den
Hintergrund stellte. Denn was wäre das Volk ohne jene Dinge gewesen, die die
Frauen gewissenhaft und klaglos verrichteten? Während die Männer Bäume fällten,
Nahrung sammelten und Waffen führten, erledigten weibliche Hände die kleinen,
aber essentiellen Aufgaben des Alltags, ohne die ein Arbeiten unverstellbar
ist. Doch das Handlungsfeld der Frau endete längst nicht mit der Zubereitung
der Nahrung und der Erziehung der Kinder. Vielmehr übernahmen sie häufig auch
Planungsaufgaben, die für die nachfolgende Errichtung der Gebäue notwendig
waren. Somit war es durch die hervorragende Zusammenarbeit aller Menschen
möglich, dass die Angehörigen des Trosses noch vor dem ersten Schneefall eine
feste Unterkunft beziehen konnten, wenngleich Eisenhand für immer einem
architektonischen Wandel unterworfen bleiben sollte.
Folgend gingen Wochen, Monate und
Jahre ins Land, in denen das Königreich der Menschen schnell wuchs. Binnen der
ersten zehn Jahre stieg die Zahl der Bürger von Eisenhand rasant an. Und obwohl
die Stadt viel Platz bot und fortwährend erweitert wurde, gingen schon bald
Überlegungen durch die Königshalle, ob nicht weitere Siedlungen errichtet
werden könnten. Bislang existierten außerhalb der Hauptstadt lediglich einige
wenige kleinere Gehöfte, die die Menschen mit zusätzlichen Nahrungsmitteln
belieferten. Insbesondere Theodus drang unter großem Zuspruch Bhelms auf die
Erschließung neuer Gebiete, ein Ansinnen, das von Thormir lange Zeit abgelehnt
wurde. Der Magier wollte von neuen Siedlungen nichts wissen, solange nicht
vollends geklärt war, was mit den alten Feinden geschehen war. Zu sehr
fürchtete er eine Zersplitterung der Menschen, die in seinen Gedanken stets als
eine Einheit stehen sollten. Und gerade jetzt, zehn Jahre nach der
Stadtgründung, wurde Thormir wieder von der alten Ungewissheit geplagt, was aus
den Orks geworden wäre. Daher trafen an einem späten Sommerabend König und
Kanzler in gemütlicher Atmosphäre zusammen, um weitere Einzelheiten zu bereden.
Regnir saß gemeinsam mit seinem Sohn in Holzsesseln am Kamin, als der Kanzler
den Raum betrat.
„So spät noch auf den Beinen
junger Mann?“, grunzte Thormir vergnügt. Der Magier trug noch immer seine
schmucklose schwarze Robe. Das Haar war mittlerweile vollständig ergraut
Weitere Kostenlose Bücher