Rätsel des Nordens (Thenasia) (German Edition)
lieber Thormir. Du
bist noch längst nicht alt. Zwar blickst du auf dein Leben zurück, allerdings
suchst du noch immer nach neuen Dingen, nach täglichen Herausforderungen. Nach
Sachen, die du verbessern kannst. Wenn, so bist du jung und erwachsen zugleich.
So vieles hast du mich bereits gelehrt und so vieles hast du schon für mich und
meine Familie getan.“ Der König stand auf und reichte dem Magier einen Kelch
Wein. „Einen besseren Vater hätte ich mir niemals wünschen können.“
Da war der alte Thormir zu Tränen
gerührt und murmelte leise zu sich selbst: „Ich weiß nicht, ob auch nur irgendjemand
da draußen meine Empfindungen verstehen würde.“ Mit glasigen Augen starrte er
noch lange in den Kamin und versuchte, eine Überleitung zu dem Anliegen zu
finden, weshalb er zum König gekommen war: „Weißt du Regnir, wenn der Mensch will,
dann bleibt er für immer jung. Es ist eine Frage des Willens. Der Geist muss
ausschließlich scharf genug sein, um all die neuen Dinge aufzuspüren, die uns
tagtäglich begegnen. Deshalb habe ich Gharmon stets verachtet. Er war ein
selbstgerechter Narr, der glaubte, im Schutze der Frömmeleien der Vergangenheit
der Zukunft entgegentreten zu können. Dabei ist die Zukunft nichts, dem man so
ohne Weiteres entgegentritt. Die Zukunft, das sind wir in der Gegenwart. Wir,
im Hier und Jetzt. Wir, die wir uns entscheiden. Wir, die einen bestimmten Weg
einschlagen, auch wenn wir nie wissen können, wohin uns die Füße tragen werden.
Und unsere Füße werden von unserem Geiste beherrscht. Und so brauchen wir den
Geist, um Neues zu entdecken, wie wir ihn auch brauchen, um zu diesen neuen
Dingen erst einmal zu gelangen.“
Regnir lauschte Thormirs
beachtlichen Worten. Selten hatte er ihn so nachdenklich erlebt. Stets war
dieser Mann verschlossen aufgetreten, ein Buch, geschrieben in einer
unbekannten Sprache. Wortkarg hatte er seine Pläne zwar im Privaten mit anderen
geteilt, doch schien er immer ein Einzelkämpfer geblieben zu sein, eine
Sichtweise, an der der König nun einige Zweifel hatte. Der Kanzler saß noch für
einen weiteren Moment in seinem Sessel, bevor er sich plötzlich erhob und mit
kräftiger Stimme von Neuem zu reden begann:
„Mein lieber Regnir. Lange Reden
sind der Waschweiber und Schankwirte, wie man so schön sagt. Ich bin zu dir
gekommen wegen einer neuen Sache, in der Tat. Einiges scheint sich einem Wandel
zu unterziehen. Wie du weißt, herrscht seit beinahe einer Ewigkeit eine
trügerische Ruhe. Nur selten sind wir auf Orks gestoßen, und sollte dies der
Fall gewesen sein, dann waren es einzeln umherstreunende Halunken. Doch in
fernen Landen, Hunderte Wegstunden von hier entfernt, scheint es Probleme mit
den Grünhäuten zu geben. Seit einiger Zeit werden sie wieder aktiver, weshalb
auch ich befürchte, dass sich auch in unserer Nachbarschaft etwas
zusammenbrauen könnte. Wenig wissen wir über die Hügellandschaften im Norden
von Pollesch.“
Regnir hatte Derartiges bereits
erwartet, allerdings war er überrascht, mit welcher Normalität der Magier über
ferne Lande sprach, wo dieser seine Gemächer kaum länger als für einen Tag
verließ. Was wusste er alles? Er würde ihn später dringend danach fragen
müssen, dachte der König, während er über Thormirs Worte reflektierte. Schweigsam
starrte er ins Feuer. Was der Kanzler andeutete, missfiel ihm, da er sich seit
Beginn seiner Regentschaft stets als vorsichtiger Herrscher hervortat. Aus
diesem Grund plagte ihn nun die Angst, durch eine kleine, aber womöglich
unüberlegte Handlung etwas aufzuwecken, das man besser ruhen lassen sollte.
„Wir können nicht einfach
abwarten und zusehen, was passieren wird. Dass die Orks in eine anhaltende
Winterstarre verfallen wären, das kann mir niemand erzählen“, meinte Thormir.
„Kurze Zeit, nachdem wir uns hier auf dem Plateau niedergelassen hatten, begann
ein seltsames Gefühl mich zu quälen, doch habe ich es lange Zeit verdrängen
können. Vor wenigen Wochen kehrte es zurück und treibt mich an den Rand des
Wahnsinns, denn aus der Ferne kann selbst ich nichts über das Hügelland
herausfinden.“
Regnir rührte sich nicht. Den
Augenblick des unweigerlichen Handelns sah er beileibe noch nicht gekommen.
Nach kurzem Überlegen entgegnete er seinem früheren Mentor:
„Ich kann deine Befürchtungen bis
zu einem bestimmten Grade nachvollziehen, allerdings werde ich kein Heer
aussenden. Zumindest nicht jetzt. Das Königreich hat für solch
Weitere Kostenlose Bücher