Rätsel um 5: ... den wandelnden Schneemann
Schritt zurückgewichen und maß Lümmel jetzt mit mißtrauischem Blick. Und wenn sie sich’s recht überlegte, sah dieses Tier auch gar nicht so harmlos aus.
Und konnte man nicht bei näherer Betrachtung ein raublustiges Glitzern in seinen so unschuldsvoll scheinenden Augen erkennen?.
Als hätte Stubs ihre Gedanken erraten, fuhr er mit sorgenvollem Stirnrunzeln genußvoll fort: »Ja, ja, er kann wie ein Wolf sein. An diesen Instinkten ist leider nichts zu ändern, er ist nun mal so. Es ist nun mal seine Leidenschaft, alles zu zerreißen.
Seltsam nur«, fügte er langsam und sich durch mehrere kunstvoll eingelegte Pausen unterbrechend hinzu, »seltsam nur, daß er völlig verändert und lammfromm ist, wenn er bei mir schläft! Ich kann mir nur denken, daß meine Gegenwart ihn bezähmt und meine Autorität ihn bezwingt.«
Die anderen hörten mit offenem Munde zu. Dina fing an zu kichern, und Robert und Barny grinsten breit. Sogar Miranda sah aus, als ob sie lachte.
Mit einem letzten Blick auf den vor sich hindösenden Lümmel beschloß Frau Kitzel kurzerhand: »Gut, dann nimm ihn mit. Wenn es dich nicht stört, ich meine, der Hundegeruch im Schlafzimmer, ich will dieses Tier jedenfalls nicht in meiner Küche haben, wenn es so viel anrichtet, das steht fest!«
»Ach, Frau Kitzel, für Sie tue ich alles«, beteuerte Stubs mit unschuldigem Augenaufschlag und schien sich vor Bereitwilligkeit beinahe zu überschlagen. »Ihnen zuliebe schlafe ich sogar mit einem riechenden Hund zusammen, nicht wahr, Lümmel?«
Der klopfte befriedigt mit dem Schwanz auf den Boden, was Miranda dazu veranlaßte, sich mit einem plötzlichen Satz auf das buschige Ende zu stürzen. Lümmel aber fuhr herum, und das Äffchen schwang sich auf seinen Rücken und klammerte sich an seinem seidigen Fell fest.
Der Ärmste raste rund um den Tisch und überlegte fieberhaft, was zu tun sei. »Wirf dich doch einfach hin, wie du’s früher immer gemacht hast! Du Dummer!« schrie Stubs.
Und als Lümmel diesen Rat befolgte, war Miranda leicht wie eine Feder schon auf Barnys Schulter gelandet.
»Der reinste Zirkus«, lachte Frau Kitzel. »Aber nun seht zu, daß ihr hinaufkommt. Mit der Petroleumlampe laß ich euch auf keinen Fall hier unten alleine. Ich habe strikte Anweisung von Herrn Martin.«
»Gut«, sagte Barny und stand auf, »zündet eure Kerzen an.«
Er wartete, bis alle in der Diele waren, und löschte dann die Lampe. Unterdessen brachte Miranda Dina, Robert und Stubs beinahe zur Verzweiflung, indem sie die Kerzen auspustete, sobald eine brannte.
»He, Barny«, rief Stubs ungeduldig, »komm her und kümmere dich um dieses dickköpfige Biest. Sie bläst immer die Kerzen aus. Sie muß verrückt sein.«
Barny lachte. »Oh, Miranda, du hast wohl Großmutters Geburtstagskuchen noch nicht vergessen? Als meine Großmutter ihren siebzigsten Geburtstag feierte«, wandte er sich grinsend an die anderen, »durfte sie helfen, die siebzig kleinen Lichter, die um den Kuchen brannten, auszupusten. Und das hat ihr großen Spaß gemacht.«
»Aha, daher«, stöhnte Robert. »Hör auf, Miranda, hör auf!
Verflixt, meine ist schon wieder aus. Barny, nimm das Biest bloß an dich, oder wir kommen nie ins Bett.«
Der Störenfried wurde eingefangen, und endlich konnte sich die kleine Prozession in Bewegung setzen, Lümmel, wie immer, voran. Barny hielt Miranda im Arm und das Licht weit von sich, um es vor ihr in Sicherheit zu bringen.
»Gute Nacht«, sagte er, »schlaft schön. Und wenn einer schlecht träumt, vielleicht von Herrn Niemand, dann braucht er nur zu rufen.«
Aber alle schliefen fest und traumlos. Sie lagen weich und bequem, und die Federbetten erwiesen sich als wahre Ungetü me. Zu frieren brauchten sie also nicht. Stubs stellte fest, daß das Wasser viel zu kalt war, um sich noch zu waschen. Das würde er morgen früh besorgen. Und er stellte gleichzeitig fest, daß er viel zu müde war, um sich noch lange damit aufzuhal ten, seine Sachen ordentlich hinzulegen. Die zog er ja sowieso wieder an.
Er freute sich sehr über das von Lümmel schon angewärmte Bett, lag noch eine Minute wach und lauschte in die von keinem Laut unterbrochene Stille.
Gräßlich, wenn jetzt wie in alten Tagen der große Klopfer gegen die Tür schlüge, wenn draußen der Herr Niemand stünde und alle erschreckte. Von diesem sicheren Platz aus fand er es sehr angenehm, sich mit derartig unheimlichen Gedanken zu beschäftigen. Doch dann war er plötzlich eingeschlafen
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