Rätselhafte Umarmung
der Lage, solche Entscheidungen zu fällen«, widersprach Rachel, die den Begriff zurechnungsfähig und das, was er einschloss , vermeiden wollte. »Ganz im Ernst, ich finde es grausam von Ihnen, ihre Krankheit derart auszunutzen. Wahrscheinlich sollte ich Sie melden -«
»Langsam, Engelchen«, fiel ihr Bryan ins Wort. Seine sanfte Stimme und sein Blick waren klar und stahlhart. Seine Kiefermuskeln spannten sich, er starrte sie an, und plötzlich war der harmlose Zauberkünstler von eben verschwunden. »Lassen Sie uns eines klarstellen. Ich nutze Addie nicht aus. Ich kriege nicht einen roten Heller von ihr, und es gefällt mir gar nicht, daß Sie so etwas von mir glauben.«
»Aber Sie haben gesagt, Sie hätten einen Vertrag -«
»Das stimmt. Addie hat mir gestattet, hier zu wohnen und den Geist zu suchen.«
»Es gibt hier keinen Geist«, wiederholte Rachel gereizt. »Verstehen Sie denn nicht? Addie ist nicht gesund. Dieser Geist ist nichts als eine Wahnidee.«
Bryan sah sie ernst und traurig an. »Nur weil Sie an etwas nicht glauben, heißt das nicht, daß es deshalb nicht existiert, Rachel. Ständig fallen im Wald Bäume um, und sie machen einen Riesenkrach dabei, auch wenn Sie das nicht hören.«
Rachel weigerte sich, ihm zuzuhören. Sie hatte ihre Entscheidung gefällt. »Meine Mutter ist eine einsame alte Frau, die diesen >Wimsey< erfunden hat, damit ihr jemand Gesellschaft leistet. Es gibt keinen Grund für Sie, noch länger zu bleiben, Mr. Hennessy.«
»Ich glaube, ich muss bal d am Stock gehen, wenn Sie nicht aufhören, mich Mr. Hennessy zu nennen«, grummelte Bryan und kämmte sich das Haar mit den Fingern zurück. Er holte tief Luft und fing noch mal von vorne an. »Ich weiß, daß Addie krank ist. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie es sein muss , wenn man mitbekommt, wie man den Verstand Stück für Stück verliert, ohne daß man etwas dagegen unternehmen könnte? Haben Sie sich überlegt, wie es sein muss , wenn Sie jeder im Ort für verrückt hält und niemand Ihnen mehr glaubt?
Sie glauben vielleicht nicht an Geister, Rachel, das steht Ihnen frei, aber Addie glaubt an Wimsey, und ich halte es für durchaus möglich, daß er eine echte, nachweisbare Erscheinung ist. Wenn ich das beweisen kann, dann kann ich damit Addie ein bisschen von ihrer Würde zurückgeben. Glauben Sie nicht, daß es sich allein deshalb lohnt, eine Plage wie mich noch etwas länger zu ertragen?«
Darauf fiel Rachel keine Antwort ein. Sie schämte sich für die Vorwürfe, die sie Bryan gemacht hatte. Schlimmer noch, sie spürte einen leichten Anflug von Panik in ihrer Kehle. Wenn er ein Betrüger gewesen wäre, dann hätte sie ihn loswerden können. Wenn er ein Scharlatan gewesen wäre, dann hätte sie ihn aus dem Haus jagen und zu Recht wütend auf ihn sein können. Aber er war weder ein Betrüger noch ein Scharlatan. Er war eine Versuchung. Ihr Herz schlug schneller, als sie das erkannte.
Sie hatte ihn wegschicken wollen, weil sie nicht nur ihre Mutter, sondern auch sich selbst schützen wollte. Bryan Hennessy hatte etwas an sich, daß sie über alle Maßen anzog, und das durfte sie nicht zulassen. Sie war wegen Addie hier. Addie würde ihre ganze Aufmerksamkeit fordern. Sie konnte ihre Energie nicht mit einem Mann vergeuden, der sich alberne Liedchen ausdachte und Spielkarten aus dem Ärmel zauberte.
»Wie ist es, Rachel?« fragte Bryan leise. Plötzlich fühlte er sich unwiderstehlich zu ihr hingezogen - fast hingeschoben. Es war viel zu früh am Morgen, um sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob es klug war, ihr so nahe zu kommen, deshalb gab er dem Gefühl nach. Er trat vor sie hin, so daß sie den Kopf in den Nacken legen musste , um zu ihm aufzuschauen. Es wäre ein leichtes gewesen, die Hände zu heben und auf ihre Wangen zu legen. Er verzehrte sich danach, genau das zu tun, um sich dann hinunterzubeugen und sie zu küssen.
Er hielt den Atem an, bis ihm die Lunge brannte, während er auf ihre Antwort wartete. Würde sie ihn im Haus bleiben lassen? Warum lag ihm soviel daran? Er bangte gewiss nicht nur wegen Wimsey, und er wollte auf keinen Fall darüber nachdenken, was noch im Spiel sein könnte. Er redete sich ein, daß er diesen Job brauchte, weil er sich auf irgend etwas konzentrieren musste . Es war nicht so, daß er etwas mit Rachel anfangen wollte. Auch nach dem Streit mit seiner inneren Stimme gestern nacht war er nicht überzeugt, daß er ihr helfen konnte.
Aber jetzt, wo er ihr in die
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