Rätselhafte Umarmung
ich ihn zum Landen bringen kann. Ich habe das schon einmal auf einer Wiese vor Berlin geschafft, und damals hat man auf mich geschossen, also sollte das heute kein Problem sein.«
Rachel starrte ihn entsetzt an.
Sein Freund hatte Mitleid mit ihr. »Keine Angst, Rachel, er weiß ganz gut Bescheid. Außerdem bleiben Sie die ganze Zeit über mit dem Boden vertäut. Bryan hat nur nach einem Fleck gesucht, wo Sie beide in Ruhe picknicken können. Ziemlich romantisch, wie?«
Rachel schaute ihn verständnislos an, aber es war zu spät, um noch Fragen zu stellen. Ein Picknick? Wer konnte in so einem Ding schon ans Essen denken, fragte sie sich, während die Bodencrew die Gondel losließ und der Ballon über ihnen den Korb mit einem Ruck einen Meter in die Luft zog. Sie krallte die Fingernägel in das trockene, braune Weidengeflecht und beobachtete ebenso fasziniert wie entsetzt, wie Bryan den Brenner bediente. Brüllend schössen die Flammen in die Füllöffnung. Er zwinkerte ihr kurz zu, als sie langsam aufstiegen, aber ansonsten konzentrierte er sich ganz auf die Instrumententafel, die an der Unterseite der Brennerplattform über ihren Köpfen angebracht war.
Er schien tatsächlich zu wissen, was er tat, und so konnte sich Rachel ganz dem Erlebnis ihrer ersten Ballonfahrt hingeben. Das Gefühl war etwa so, wie in einem Aufzug nach oben zu fahren - einem ziemlich wackligen Aufzug allerdings, der bei jeder Bewegung ins Schwanken geriet und der in kein sicheres, festes Gebäude eingefügt war. Sie wagte einen vorsichtigen Blick über die Brüstung, und ihr Magen krampfte sich zusammen wie damals bei ihrer ersten Achterbahnfahrt. Die Männer, die unten auf der Wiese standen und ihnen freundlich zuwinkten, wurden immer kleiner, je höher der Ballon stieg. Dann spannte sich das Halteseil und bremste ihren Aufstieg abrupt ab. »Und wie gefällt es dir?«
Sie atmete tief ein, um ihm zu erklären, was sie von dieser unverantwortlichen Eskapade hielt, aber sie brachte kein Wort über die Lippen, als sie den Blick über das Land unter ihnen schweifen ließ. Der Ausblick war herrlich. Sie konnte kilometerweit in alle Richtungen sehen. Goldene Hügel, sanftgrüne Weiden, dunkle Waldflecken. Nordkalifornien lag in seiner ganzen wilden Schönheit vor ihnen. In der Ferne sah sie einen zweiten bunt gestreiften Ballon, der ruhig über das Land schwebte. Im Westen erstreckte sich der Ozean wie ein dunkelblaues Band zwischen der Küste und einer Nebelbank am Horizont. Aber nicht nur die Landschaft war beeindruckend, sondern auch die Stille - sie war vollkommen und unglaublich erholsam.
Plötzlich empfand Rachel ein so tiefes Gefühl von Frieden, daß ihr die Tränen in die Augen traten. Seit Tagen fühlte sie sich schon ausgelaugt und abgespannt. Ihr Blick hatte sich in einer Art Tunneleffekt immer weiter verengt, bis sie nichts mehr außer ihren Problemen wahrgenommen hatte. Sie hatte keinen Sinn mehr für die Schönheit dieser Welt gehabt, hatte sie ganz aus ihrem Leben ausgeschlossen. Jetzt hatte Bryan sie ihr zurückgegeben.
Unsicher lächelnd sah sie ihn an und sagte: »Ich glaube, ich liebe dich.«
Seine klugen, warmen blauen Augen glänzten, dann nahm er sie in die Arme und küßte sie.
Sie blieben in der Gondel und genossen den Ausblick, während sie ein gemütliches Picknick mit frischen Croissants, Käse, Trauben und einer Flasche guten kalifornischen Weißwein machten. Sie unterhielten sich über alles, was ihnen in den Kopf kam, solange es nichts mit Addie, Drake House oder Geld zu tun hatte. Sie genossen die Stille und das Vergnügen, miteinander allein zu sein. Es war ein wunderschönes Erlebnis. Die perfekte Art, einen perfekten Nachmittag zu verbringen.
Rachel wusste zwar, daß sie irgendwann wieder auf den Boden zurückkehren mussten , im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Aber auf der Heimfahrt schloss sie die Erinnerung an diesen goldenen Nachmittag tief in ihrem Herzen ein. Vielleicht hatte es doch etwas für sich, wenn man sich ab und zu ganz dem Vergnügen hingab. Sie fühlte sich erfrischt und verjüngt. Wenn das keine Magie war, dann wusste sie nicht, was Magie war. Irgendwo da oben hatte sie ihr schlechtes Gewissen, weil sie Addie und ihre Arbeit ein paar Stunden allein gelassen hatte, verloren, und sie vermisste es nicht besonders. Jetzt fühlte sie sich wieder in der Lage, sich den finanziellen Problemen zu stellen und es auf ein neues mit Addie zu versuchen. Und das hatte sie nur dem Mann neben ihr zu
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