Räuberbier
einen Warnschuss abgegeben, wenn nicht sogar mehr.
»Küche?« So langsam klappte es wieder mit dem regelmäßigen Atmen, für längere Satzbildungen aber dennoch nicht genug.
Becker verstand und rannte in Richtung Theke. Er sah wirklich verboten aus. Versifft von oben bis unten, seine Hose hing teilweise in Fetzen und die Platzwunde, die mittlerweile nicht mehr blutete, sah ekelhaft aus. Ob ich in seinen Augen genauso aussah? Nähere Gedanken konnte ich mir keine machen. Ich sah, wie der Student wie ein Hürdenläufer auf die Theke sprang, um danach mit einem weiteren Satz in der angrenzenden Küche zu landen.
»Hier ist niemand«, hörte ich Sekunden später seine Stimme. Etwas langsamer kam er wieder zurück.
»Bleiben nur die Toiletten«, sagte ich zielsicher, als er wieder neben mir stand.
»Oder er hat den Ausgang genommen«, entgegnete Becker und musterte mich dabei. »Hat Ihnen eigentlich mal jemand gesagt, dass Sie furchtbar aussehen, Herr Palzki?«
Ich ignorierte seine Bemerkung und wandte mich der Toilettentür zu. Wie selbstverständlich öffnete ich die Tür zur Herrentoilette. Wir kamen in einen Vorraum. Von diesem gingen zwei weitere Türen ab. ›Toiletten‹ lautete die Beschriftung der ersten, ›Betriebsraum‹ der zweiten Tür. Zielsicher drückte ich den Türgriff zum Betriebsraum. Es war offen, was ich als gutes Zeichen wertete. Ich winkte Becker zu mir, da er gerade in den Toiletten verschwinden wollte.
»Kneifen Sie ein wenig Ihre Beine zusammen, hier geht’s lang.«
»Aber, ich wollte doch nur –«
Der Betriebsraum war kein Betriebsraum, sondern eine Wendeltreppe nach unten. Jetzt war ich froh, dass der Student sein Phallussymbol dabeihatte.
»Schalten Sie die Lampe ein«, forderte ich ihn auf. »Ich kann keinen Lichtschalter finden.«
So schnell es mein geprellter Knöchel zuließ, gingen wir die scheppernde Metalltreppe nach unten. Kurz darauf standen wir in einem unterirdischen Kellergang, der nach beiden Richtungen verlief. Alle fünf bis zehn Meter brannte an der Decke eine kleine elektrische Funzel.
»Wohin?«, fragte Becker.
»Pscht!«, antwortete ich.
In der Ferne hörten wir deutlich schnelle Schritte. Wir waren richtig.
»Links«, sagte Becker, der neben mir stand und in die entsprechende Richtung deutete.
»Rechts«, sagte ich zeitgleich. »Der rennt in diese Richtung.«
»Sollen wir uns trennen?«, fragte Dietmar Becker.
»Auf keinen Fall«, antwortete ich. »Wir gehen nach rechts. Rechts ist immer gut.«
Widerwillig gehorchte er mir. Erneut hatten wir eine Glückssträhne. Die fremden Schritte verstummten nicht, daher dürfte meine Wahl die richtige gewesen sein. Becker, der in dem engen Flur vorweglief, stoppte abrupt. Bereits zum zweiten Mal rannte ich ihm in den Rücken.
»Aua«, schrie er.
»Was bleiben Sie auch so plötzlich stehen? Können Sie nicht mehr?«
»Wie bitte? Ich bin gerade erst richtig warm geworden. Schauen Sie mal nach unten.« Er bückte sich und hob einen schwarzen Schuh auf. »Der ist im Innenfutter ganz warm und außen riecht er nach Bier. Unser Freund hat einen Schuh verloren.«
»Na prima«, sagte ich. »Jetzt kriegen wir ihn. Los weiter.«
Jede Glückssträhne ging einmal zu Ende, so auch unsere. Dass der Kellerirrgarten alles andere als klein und leicht durchschaubar war, wusste ich seit Ferdis Führung. Dass es aber so viele Kreuzungen, Treppen und Einmündungen von weiteren Gängen und Räumen gab, wurde mir erst jetzt bewusst. Nachdem wir zwei weitere Ebenen nach unten gegangen waren, gab es auch keine elektrische Beleuchtung mehr. Nur mit Hilfe von Beckers Spezial-Taschenlampe hetzten wir durch die Gänge. Ab und zu blieben wir stumm stehen und horchten nach den Schritten. Mal waren sie stärker, mal schwächer und nun waren sie überhaupt nicht mehr zu hören.
»Das macht keinen Sinn mehr«, sagte ich schließlich zu meiner Begleitung. »Den kriegen wir hier unten nicht. Lassen Sie uns nach oben gehen. Vielleicht läuft jemand mit einem Schuh über das Betriebsgelände.«
Becker sah es genauso. Wir drehten um und verirrten uns noch mehr. Alles sah so furchtbar alt aus und ich konnte nicht sagen, ob wir die Stellen, an denen wir vorbeiliefen, vorhin bereits passiert hatten.
»Wir müssen nur nach oben«, meinte Klugscheißer Becker.
»Dann gehen Sie doch, sehen Sie hier irgendwo eine Treppe?«
Eine Treppe fanden wir nicht, dafür etwas anderes. In einem kleineren Raum, den wir durchquerten, stand eine alte Zinkwanne,
Weitere Kostenlose Bücher