Räuberdatschi: Ein Fall für Anne Loop (Piper Taschenbuch) (German Edition)
Schlaftrunken blinzelte Anne ins Licht. Vor dem Bett stand ihre Tochter und hielt ihr das Telefon hin.
»Das Telefon klingelt, Mama. Du bist eingeschlafen. Hier. Jetzt geh mal ran!«
»Und du?«, fragte Anne erstaunt. »Hast du noch nicht geschlafen?«
»Nö, ich doch nicht«, meinte Lisa und drückte, weil ihre Mutter offensichtlich immer noch nicht in der Lage war, das Gespräch entgegenzunehmen, selbst auf die grüne Taste.
»Lisa Loop, hallo? … Ja, die ist da. Ja, einen Moment.« Dann flüsterte sie ihrer Mutter aufgeregt zu: »Der Johann!«
Schlagartig war Anne wach und nahm Lisa das Telefon aus der Hand. »Ja, hallo … Ja, ich bin wieder draußen … Ja, geht so … Ja, gerne. Nur … ich kann nicht weg. Ich bin mit Lisa allein … Ja, na klar kannst du vorbeikommen.«
Dann legte sie auf und sagte zu ihrer Tochter: »So, du musst jetzt schlafen. Und ich muss noch schnell die Wohnung aufräumen. Der ist gleich da.«
»Mama«, sagte Lisa verschmitzt, »kann es sein, dass du aufgeregt bist?«
»Ja, ja, ja«, antwortete Anne hastig. »Und du schläfst jetzt, ja?« Sie gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Wange und verließ das Zimmer. Lisa hörte noch, wie unten in der Küche Gläser klirrten und im Wohnzimmer Sessel zurechtgerückt wurden. Doch als es an der Tür klingelte, schlief sie schon.
Anne humpelte zur Tür. Sie trug ein beigefarbenes Trägertop und ihre bequeme schwarze Haushose. Johann Bibertal hatte das erste Mal, seit Anne ihn kannte, keinen Anzug an, sondern eine luftige Leinenhose und ein weißes Hemd, das über dem Hosenbund hing. Er duftete nach einem Parfum, das Anne nicht kannte. Es roch gut.
»Hallo«, sagte Anne und lächelte den Anwalt an. Warum war sie plötzlich so kurzatmig? Dass sie sich so fühlte, war ihr aber nur für einen Moment peinlich, denn im nächsten sagte Johann: »Grüß dich.« Und an seiner Atmung erkannte Anne sofort, dass auch er Herzklopfen hatte. Dann weiteten sich die Augen des Anwalts. »Oh Gott, du bist ja am Kopf verletzt!«
Ohne darauf einzugehen, sagte Anne: »Komm rein.« Sie hüpfte auf dem Bein, das sie belasten konnte, zur Seite, um ihm Platz zu machen, und machte eine einladende Handbewegung Richtung Hausinnerem.
»Und warum hüpfst du?« Er musterte sie erstaunt von oben bis unten.
»Verletzung, Schusswunde.«
»Schusswunde? Komm, ich stütze dich.« Er trat neben sie und umfasste ihre Hüfte. Anne legte ihren Arm um seine Schultern. Er roch wirklich gut. Und er fühlte sich gut an. Weil der Flur eng war und sie an der Kommode mit der Schlüsselschale vorbeimussten, kamen sie sich noch näher.
Im Wohnzimmer nahm Johann Bibertal Annes Hände und ließ sie vorsichtig auf das Sofa sinken. Dann stand er einen Augenblick unschlüssig herum und musterte die Sitzgelegenheiten. Gerade als er eine Bewegung in Richtung des etwas abseits stehenden Sessels machen wollte, sagte Anne: »Setz dich doch dahin, ist viel gemütlicher«, und deutete neben sich auf das Sofa.
Ohne zu zögern, nahm Johann Platz. Und Anne erzählte ihm, was passiert war: wie sie, nur in Elefantenunterwäsche, vor den Augen der Aktivistenmeute in die Bank gegangen war, von ihrem Gespräch mit Jorina, von ihrer Flucht, dem Sprung aus dem Fenster und von ihrem Ausbruch aus der Klinik. Zwischendurch holte er, von ihr beauftragt, eine Flasche Rotwein und etwas Käse und Brot aus der Küche.
»Und dann haben die mich halt noch hier erwischt, ein Streifschuss.« Sie deutete auf ihren rechten Oberschenkel. Ihr Bein hatte sie etwas hochgelegt, sodass ihr nackter Fuß beinahe die Leinenhose ihres Gasts berührte. Johanns Blick fiel auf Annes lilafarben lackierte Fußnägel. Und Annes Herz schlug plötzlich wie wild. Bleib ruhig, dachte sie sich, bleib ruhig, du bist doch keine fünfzehn mehr! Aber es half nichts. Sollte sie? Wollte sie? Er wandte seinen Blick wieder nach oben, weg von ihren Fußnägeln und ihrem Gesicht zu.
»Was ist?«, fragte er leise.
»Was?«, fragte sie zurück und musste schlucken.
»Du schaust so. Hast du Schmerzen?«
Hastig nickte Anne. Und ärgerte sich im selben Moment maßlos über sich selbst. Das ging ja nun wohl gar nicht in die richtige Richtung. Schnell schüttelte sie den Kopf.
»Na, was jetzt«, erkundigte er sich liebevoll. »Schmerzen oder nicht?«
»Schmerzen … nicht«, stammelte Anne.
Vorsichtig legte er seine linke Hand auf den Fuß ihres verletzten Beins. »Deine Füße sind kalt.« Anne nickte. Sie fühlte sich wie ein unerfahrenes
Weitere Kostenlose Bücher