RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
mich noch nie besiegt. Als Spieler hatte er zwar seine glanzvollen Momente, aber ich spielte sehr konstant, der Dieselmotor schnurrte. Ich spürte, wenn ich den dritten Satz gewänne, würde er sich fühlen, als müsse er einen Berg erklimmen.
Aber zu Beginn des dritten Satzes fand er sofort seinen Rhythmus und machte da weiter, wo er im zweiten Satz aufgehört hatte. In dieser Phase hätte das Match gar nicht ausgeglichener sein können, wobei sich die Initiative, wenn überhaupt, leicht auf seine Seite verlagerte. Ich warf einen flüchtigen Blick zu meinem Team und meiner Familie, die links von mir saßen: Toni, Carlos, Titín, mein Vater, Tuts und hinter ihnen meine Mutter, meine Schwester Maribel und María Francisca, die besonders nervös wirkte. Sie war erst zum zweiten Mal gekommen, um mich bei einem Grand-Slam-Finale spielen zu sehen. Gewöhnlich schaute sie sich die Matchs zu Hause mit ihren Eltern oder allein an, wie sie es beim Wimbledon-Finale 2008 auch getan hatte. Wenn es ihr zu viel wurde, schaltete sie auf einen anderen Sender, gestand sie, oder sie verließ für eine Weile das Zimmer. Dieses Mal in New York musste sie gegen das Bedüfnis ankämpfen, einfach aufzustehen und zu gehen, wie sie mir in einem Gespräch erzählte. Die gegenwärtige Phase des Matchs war für sie die härteste Prüfung.
María Francisca, die selbst Tennis spielt, verstand ebenso gut wie ich, dass die Regenpause Djokovic einen Schub gegeben hatte. Er bewies es beim ersten Ballwechsel des Satzes, den er einwandfrei spielte: Er drängte mich weit nach links und beendete den Ballwechsel mit einem durchschlagenden Rückhand-Winner entlang der Linie auf meine Rechte. Diesen Trick wiederholte er mit einem tieferen Schlag nach einem längeren Ballwechsel für den zweiten Punkt. Das war zu gut.
Ich nahm es gefasst hin. Manche Spieler explodieren vor Wut, wenn ihr Gegner sie dominiert. Aber das ist zwecklos und kann nur schaden. Man muss sich einfach denken: »Dagegen kann ich nichts machen, warum soll ich mich also darüber ärgern?« Er ging viele Risiken ein, und fürs Erste zahlte es sich aus, aber ich schaffte es, mit jener Intensität zu spielen, die ich mir vorstellte, den Ball hart und weit zu schlagen, ohne Risiken einzugehen, und mir größere Spielräume für Fehler zu lassen. »Lass den Sturm vorüberziehen«, sagte ich mir. »Wenn ich beim nächsten Ballwechsel nicht zurückkommen kann, dann eben beim übernächsten.«
In diesem Spiel schaffte ich es allerdings nicht mehr. Er gewann es, nachdem er mir nur einen Punkt durch einen recht unerklärlichen Doppelfehler schenkte – offenbar wollte er beim zweiten Aufschlag ein Ass versuchen –, als er 40:0 in Führung lag. O. k. So geht das nun mal. Pech. Er lag vorn, und mir stand bei meinem Aufschlag eine Aufholjagd bevor, die lange dauern konnte.
Für mich war es entscheidend, das nächste Spiel zu holen. Wenn man die letzten beiden Spiele des vorigen Satzes mitrechnete, hatte er drei Spiele in Folge gewonnen. Ich musste ihn aufhalten, sonst lief ich Gefahr, überrannt zu werden. Den ersten Ballwechsel ging ich geschickt an, indem ich den Ball hoch spielte. Schlägt man den Ball gegen Djokovic niedrig oder in mittlerer Höhe, trifft er ihn perfekt, besonders wenn er so gute Sicht hatte wie bei diesem Spiel. Muss er den Ball aber in Schulterhöhe annehmen, fühlt er sich nicht sehr wohl, denn er ist gezwungen, aufs Geratewohl zu schlagen und kommt aus dem Rhythmus. So ging ich 15:0 in Führung: nicht durch einen Winner, sondern indem ich ihn zu einem untypischen Fehler trieb. Das gab mir das Selbstvertrauen, in meinem Spiel einen Gang hinaufzuschalten, ein Risiko einzugehen und den nächsten Punkt mit einer tiefen Vorhand in die Ecke zu holen. Er nickte, als wolle er sagen: »Da konnte ich nichts machen.« Das tue ich nie. Ich zeige meine Anerkennung für die besseren Schläge eines Gegners nicht. Nicht etwa aus Unhöflichkeit, sondern weil es ein zu riskantes Abweichen von meiner Strategie wäre. Aber seine Haltung war richtig: Beuge dich dem Unvermeidlichen und mache weiter.
Ich gewann das Spiel, ohne einen Punkt abzugeben, und schaffte dann ein unerwartet frühes Break zum 2:1, nachdem ich einen meiner besten Schläge dieses Matchs gespielt hatte, einen Rückhand-Cross im Laufen aus zwei Metern Entfernung hinter der Grundlinie. Er war ans Netz gegangen, was durchaus vernünftig war, da sein Angriffsschlag weit in meine Rückhandecke gegangen war, aber ich donnerte
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