RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
mit an den Strand nach Porto Cristo, nur zehn Minuten von Manacor entfernt, wo ich auf ihrem Bauch lag und in der Sonne döste. Mit meinen Onkeln spielte ich auf dem Korridor der Wohnung oder unten in der Garage Fußball. Einer meiner Onkel, Miguel Ángel, spielte als Profifußballer für Mallorca und später für Barcelona und Spanien. Als ich noch ganz klein war, nahmen sie mich mit ins Stadion, um ihn spielen zu sehen. Trotz Tonis Strenge gehöre ich nicht zu den Sportlern, deren Lebensgeschichte davon geprägt war, ihre düstere Kindheit auf dem Weg an die Spitze zu überwinden. Meine Kindheit war märchenhaft.
Allerdings habe ich etwas mit vielen anderen erfolgreichen Sportlern gemeinsam, von denen ich je gehört habe, und das ist ein fanatischer Kampfgeist. Schon als kleiner Junge hasste ich es zu verlieren. Wenn ich verlor, bekam ich Wutanfälle, und das ist bis heute so geblieben. Erst vor zwei Jahren verlor ich beim Kartenspiel mit meiner Familie und warf den anderen Tricksereien vor, was sicherlich ein bisschen zu weit ging, wie ich heute einsehe. Ich weiß nicht, woher das alles kommt. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich meinen Onkeln in der Bar oft beim Billardspielen mit ihren Freunden zugesehen habe. Aber selbst sie wunderten sich, dass ich mich in einen kleinen Teufel verwandelte, sobald ein Spiel im Gang war, obwohl ich sonst angeblich so ein liebes Kind war.
Das Erfolgsstreben – gepaart mit dem Wissen, dass man hart arbeiten muss, um seine Ziele zu erreichen – liegt eindeutig in unserer Familie. Die Familie meiner Mutter besitzt eine Möbelschreinerei in Manacor, wo die Möbelproduktion seit Langem ein wichtiger Wirtschaftszweig ist. Mein Großvater verlor mit zehn Jahren seinen Vater, lernte schon in jungen Jahren das Familienhandwerk und wurde Schreinermeister. Im Haus meiner Mutter, in dem ich bis heute wohne, steht noch eine unglaublich fein gearbeitete Kommode, die er gemacht hat. Wie mein Großvater mir erzählte, wurden 1970 auf Mallorca und den Nachbarinseln Ibiza und Menorca 2000 Betten hergestellt. Die Hälfte davon stammte aus seinen Werkstätten. Heute führt einer meiner Onkel, mein Pate, den Betrieb weiter.
Noch eindeutiger ist der Einfluss von meiner Familie väterlicherseits, obwohl sie sich nicht immer durch Sportbegeisterung ausgezeichnet hat. Mein Großvater, der ebenfalls Rafael heißt, ist Musiker. Eine Geschichte, die er uns oft erzählt hat, zeigt, wie unglaublich zielstrebig und getrieben er als junger Mann war. Mit 16 Jahren – mittlerweile ist er in den Achtzigern, noch überaus rüstig, nach wie vor als Musiker tätig und erarbeitet mit Kindern Opern – gründete und leitete er in der Stadt einen Chor, der durchaus ernst zu nehmen war. Als er 19 war, trat der Leiter des damals – Ende der 1940erJahre – neu gegründeten Symphonieorchesters von Mallorca mit der Bitte an ihn heran, seinen Chor auf eine Aufführung von Beethovens Neunter Symphonie in der Inselhauptstadt Palma vorzubereiten. Der Spanische Bürgerkrieg war noch nicht lange zu Ende, und das Land war sehr arm. Es war ein erstaunlich ehrgeiziges Projekt, umso mehr als von den 48 Chormitgliedern nur ein halbes Dutzend Noten lesen konnten. Die Übrigen waren Amateure. Aber mein Großvater ließ sich dadurch nicht abschrecken. Über sechseinhalb Monate hinweg probten sie tagtäglich und schließlich »kam der Tag, an dem Mallorquiner zum ersten Mal Beethovens Neunte live in einem Theater hörten«, wie er sagt. Es war ein großes Ereignis in der Geschichte der Insel, und ohne ihn wäre es wohl nicht zustande gekommen. Damals war er erst 19 Jahre alt.
Für ihn dürfte es ein bisschen enttäuschend gewesen sein, dass keines seiner fünf Kinder musikalisches Talent zeigte, aber drei sich als talentierte Sportler erwiesen. Allerdings nicht mein Vater. Er ist mit Leib und Seele Geschäftsmann und geht diesem Beruf nicht nur des Geldes wegen nach, sondern weil er ihm Spaß macht. Er liebt es, Geschäfte zu machen, Firmen aufzubauen, Arbeitsplätze zu schaffen. So war er schon immer.
Mit 16 Jahren eröffnete er im Sommer in Porto Cristo, dem Manacor am nächsten gelegenen Badeort, eine Bar, in der er Musikveranstaltungen organisierte. Von den Einnahmen kaufte er sich sein erstes Motorrad. Mit 19 Jahren sah er seine Chance im Gebrauchtwagenhandel. Agenten verlangten viel Geld für den Papierkram, den der Eigentümerwechsel bei einem Fahrzeug nötig machte, und er tüftelte aus, wie er diesen Service
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