RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
und war mir eine Mahnung, dass eine Führung noch gar nichts bedeutete; es kam nur darauf an, auf Dauer zu gewinnen. Und allmählich stellte ich mich darauf ein, dass das Match, wie es plötzlich aussah, tatsächlich sehr lange dauern könnte. Dies hatte zum Teil damit zu tun, dass der Himmel wieder dunkler wurde und Regen drohte, aber vor allem damit, dass Federer weiterhin so spielte, wie er begonnen hatte: Er schaffte eine hohe Zahl an Gewinnschlägen, brachte mühelos seine Aufschläge durch, rang mir ein Break nach dem anderen ab und ließ mich erbittert kämpfen, um zu verhindern, dass er sich den Satz im Handumdrehen holte.
Ab und an werde ich gefragt, ob ich das Gefühl habe, Federer die Party verdorben zu haben, und ob mein Erscheinen an der Weltspitze verhindert habe, dass er weitere Rekorde aufstellte. Darauf antworte ich: »Wie wäre es, die Sache einmal anders herum zu sehen: Hat nicht er mir die Party verdorben?« Wäre er nicht gewesen, hätte ich vielleicht 2008 schon seit vier Jahren in Folge die Nummer eins der Weltrangliste sein können, statt die ganze Zeit als Nummer zwei zuzuschauen und abzuwarten. Die Wahrheit ist vermutlich die: Wenn einer von uns beiden nicht da gewesen wäre, hätte der andere mehr Triumphe feiern können. Andererseits hat die Rivalität uns beiden ein ausgeprägteres internationales Profil verschafft – was sich unter anderem im Sponsoreninteresse niedergeschlagen hat –, weil sie den Tennissport für die Zuschauer interessanter gemacht hat. Wenn ein Spieler in ununterbrochener Folge ein Turnier nach dem anderen gewinnt, ist es zwar gut für ihn, aber nicht unbedingt gut für den Sport. Letzten Endes muss meiner Ansicht nach alles, was gut für den Sport ist, auch gut für uns beide sein. Bei den Fans herrscht Spannung, sobald wir beide aufeinander treffen, was wegen unserer Ranglistenplätze eins und zwei meist bei Endspielen der Fall ist, und diese Spannung wirkt sich auch auf uns aus. Wir haben schon oft gegeneinander gespielt und häufig waren es unglaublich knappe, spannende und für unsere Karriere entscheidende Matchs, weil es sich häufig um Grand-Slam-Finals handelte. Wenn ich bei unseren Begegnungen häufiger gewonnen habe – vor dem Wimbledonfinale 2008 lag ich im direkten Vergleich mit 11:6 vorn –, so lag es an der Zahl unserer Spiele auf Sandboden, wo ich die Oberhand habe; sieht man sich die Resultate auf anderen Belägen an, so sind sie ausgeglichener.
Das heißt jedoch auf keinen Fall, dass es nicht eine Menge guter Tennisspieler gäbe, die durchaus imstande sind, uns beide zu schlagen und dies auch tun. Ich denke – vor allem – an Djokovic, aber auch an Murray, Soderling, Del Potro, Berdych, Verdasco, David Ferrer oder Davydenko … Seit ich 2006 zur Nummer zwei der Weltrangliste aufgestiegen bin, hat sich jedoch gezeigt, dass Federer und ich die großen Turniere dominiert und in vielen wichtigen Endspielen gegeneinander gespielt haben. Das hatte zur Folge, dass unsere Rivalität in den Augen der Zuschauer eine immer stärkere Magie entwickelte, was wir, so glaube ich, beide spürten. Die Erwartungen, die unsere Begegnungen hervorrufen, bringt meine beste Seite zum Vorschein. Immer wenn ich gegen Federer antrete, habe ich das Gefühl, dass ich an die Grenzen meiner Leistungsfähigkeit gehen, perfekt spielen muss, und dies über eine lange Zeit, um zu gewinnen. Und ich habe den Eindruck, dass Federer gegen mich aggressiver spielt, stärker angreift, bei seinen Drives und Volleys mehr Gewinnschläge versucht als bei anderen Gegnern, was ihn zwingt, mehr Risiken einzugehen und 100 Prozent zu geben, um zu gewinnen.
Ob er mich zu einem besseren Spieler gemacht hat oder ich ihn, ist schwer zu sagen. Toni erklärt mir immer wieder – und ich weiß, dass er Recht hat –, dass Federer technisch talentierter ist als ich. Mit dieser Mahnung will er mir aber nicht den Mut nehmen, sondern mich motivieren, mein Spiel zu verbessern. Wenn ich mir manchmal Aufzeichnungen von Federers Spielen anschaue, staune ich, wie gut er ist, und wundere mich selbst, dass ich ihn besiegen konnte. Toni und ich sehen uns viele Tennisvideos an, vor allem von meinen Matchs, und zwar sowohl von gewonnen als auch von verlorenen Begegnungen. Jeder versucht aus Niederlagen zu lernen, aber ich bemühe mich, auch aus meinen Siegen Lehren zu ziehen. Man darf nie vergessen, dass man im Tennis häufig nur um Haaresbreite gewinnt und dem Spiel eine gewisse mathematische Ungerechtigkeit
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