RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
sich zurückhalten muss. Man muss imstande sein, seine Fehler zu akzeptieren, die sich bietenden Chancen zu nutzen und zu beurteilen, wann man sich für den einen oder den anderen Schlag entscheiden sollte. Ich hatte nie ein Sportidol, nicht einmal im Fußball. Als Kind bewunderte ich meinen Landsmann Carlos Moyá sehr, entwickelte aber nie die blinde Bewunderung eines Fans. Das entspricht einfach nicht meinem Charakter, meiner Kultur und meiner Erziehung. Aber Tiger Woods näherte sich am stärksten dem Idol. Es liegt nicht so sehr an seinem Schwung oder an der Art, wie er den Ball schlägt, sondern an seiner Besonnenheit, seiner Entschlossenheit, seiner Einstellung. Das gefällt mir.
Er ist für mich Vorbild und Inspiration in meinem Tennisspiel wie auch in meinem Golfspiel. Nach Ansicht meiner Freunde gilt das für den Golfsport in überzogenem Maße, denn sie finden, dass ich ihn viel zu ernst nehme. Sie spielen Golf meist zum Spaß, mir dagegen ist es unmöglich, in welchem Spiel auch immer nicht 100 Prozent zu geben. Wenn ich mit meinen Freunden auf den Golfplatz gehe, stelle ich alle menschlichen Regungen ebenso hintan wie auf dem Tennisplatz bei einem Match gegen Federer. Vor einem Spiel grenze ich unsere Gegnerschaft auf dem Platz mit einem Spruch gegen unsere Freundschaft außerhalb des Platzes ab. Ich schaue meine Golffreunde eindringlich an und sage: »Feindliches Spiel, in Ordnung?« Ich weiß, dass sie hinter meinem Rücken darüber lachen, werde es aber nicht ändern. Während eines Golfspiels bin ich vom ersten bis zum letzten Loch sehr wenig freundschaftlich.
Golfspielen erfordert zwar nicht die gleich starke Konzentration wie das Tennisspielen, wo man drei oder vier Spiele verlieren kann, sobald die Gedanken auch nur für drei oder vier Minuten abschweifen. Beim Golf hat man zwischen den einzelnen Schlägen mehr als drei oder vier Minuten Zeit. Beim Tennis muss man sich in Sekundenbruchteilen entscheiden, ob man einen Gewinnschlag versucht, einen defensiven Slice spielt oder für einen Volley ans Netz rennt. Im Golf kann man sich, wenn man möchte, 30 Sekunden Zeit lassen, um sich auf einen Schlag vorzubereiten. Es bleibt also genügend Freiraum, während einer Runde zu scherzen und über andere Dinge zu plaudern. Das entspricht aber nicht meiner Art, Golf zu spielen, nicht einmal mit meinen Onkeln oder mit meinem Freund Toméu Salva und schon gar nicht mit dem Freund meiner Schwester, der ein Scratchspieler ist. Ich halte mich an Tiger Woods: Von Anfang bis Ende rede ich kaum ein Wort mit meinen Gegnern und mache ihnen sicher keine Komplimente über einen guten Schlag. Sie beklagen sich zwar, ärgern sich über mich, fluchen über meine Unfreundlichkeit und behaupten, ich sei noch aggressiver als auf dem Tennisplatz, denn dort sähe man mich immerhin gelegentlich lächeln, was auf dem Golfplatz bis zum Ende eines Spiels nie vorkommt. Der Unterschied zwischen mir und meinen Freunden, von denen einige erheblich bessere Golfspieler sind als ich (ich habe ein Handicap von 11), ist, dass ich schlicht keinen Sinn darin sehe, einen Sport zu betreiben, wenn man nicht sein Ganzes gibt.
Das Gleiche gilt für das Training, was mir manchmal Probleme mit den Spielern eingetragen hat, die ich während eines Turniers als Trainingspartner ausgesucht habe: Nach ihrer Ansicht trainiere ich zu hart, zu schnell und lasse ihnen nicht genug Zeit zum Aufwärmen, sodass sie nach 10 Minuten erschöpft sind. Diese Meinung habe ich im Laufe meiner Karriere schon oft gehört. Aber ich habe meine Seele keineswegs dem Tennis verschrieben. Ich investiere zwar viel Energie in diesen Sport, empfinde es aber nicht als Opfer. Tatsächlich habe ich ab dem Alter von sechs Jahren praktisch jeden Tag trainiert und stelle hohe Ansprüche an mich. Aber das habe ich nicht als Opfer oder Verlust empfunden, weil es mir immer Spaß gemacht hat. Das heißt keineswegs, dass es nicht auch Momente gab, in denen ich gern etwas anderes gemacht hätte – etwa nach einer langen Nacht im Bett zu bleiben statt zu trainieren. Aber solche langen Nächte gibt es durchaus auch bei mir. Sehr lange Nächte, wie sie auf Mallorca vor allem im Sommer üblich sind. Alkohol rühre ich kaum an, aber ich gehe mit Freunden tanzen und bleibe gelegentlich bis sechs Uhr morgens auf. Manches, was andere junge Männer machen, mag ich vielleicht versäumen, aber unterm Strich habe ich das Gefühl, einen guten Deal zu machen.
Manche Spieler leben wie die Mönche, das
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