RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
gefasst, wie man es sich unter solchen Umständen nur erhoffen durfte. Was allerdings nicht viel bedeutet, doch zumindest zitterten meine Beine nicht, und das Adrenalin behielt nach wie vor die Oberhand gegenüber meiner Nervosität. Den dritten Satz im Tiebreak zu verlieren war ein herber Schlag für mich, aber das war nun Geschichte. Mir war klar, dass er nicht bei jedem Aufschlag weiter Asse schlagen konnte, wie er es im dritten Satz getan hatte. Vor dem Match hatte ich meine Chancen bei 50:50 gesehen, und an dieser Einschätzung hatte sich auch jetzt nichts geändert.
Schließlich hatte es auch eine Zeit gegeben, in der ich mir gegen Federer so gut wie keine Chancen ausgerechnet und trotzdem gewonnen hatte. Es war im März 2004 bei unserer ersten Begegnung auf einem schnellen Bodenbelag in Miami. Ich war damals 17 Jahre alt, er 22 und gerade auf Platz zwei der Weltrangliste aufgestiegen, aber ich besiegte ihn in drei Sätzen. Ein Jahr später standen wir uns im Finale dieses Turniers wieder gegenüber, und dieses Mal siegte er, allerdings äußerst knapp. Die beiden ersten Sätze gewann ich, den dritten holte er im Tiebreak und entschied die beiden folgenden Sätze für sich. Es war zwar eine Niederlage, aber keine entmutigende Niederlage. Ich lag in der Weltrangliste dreißig Plätze hinter Federer, hatte aber bis zum Ende mit ihm mithalten können. Danach ging meine Karriere ab wie eine Rakete: Bei den French Open zweieinhalb Monate später war ich bereits die Nummer fünf der Weltrangliste.
Unmittelbar nach dieser Begegnung in Miami spielte ich in jenem Turnier in Monte Carlo, das den Beginn der Sandplatzsaison markiert. Ich mag sowohl Monte Carlo als auch dieses Turnier. Die Stadt liegt am Mittelmeer in der Nähe meiner Heimat. Die Tennisplätze befinden sich so hoch über dem Meer, sodass ich mir vorstellen kann, von dort aus Mallorca zu sehen. Und die Straßen sind ausgesprochen sauber. Mein bleibendster Eindruck von dieser Stadt ist, wie makellos ordentlich und adrett dort alles ist. Das Turnier ist eines meiner liebsten, nicht nur weil ich dort gut abschneide und es historisch für mich eine besondere Bedeutung besitzt, sondern weil es wie Wimbledon eine lange Tradition hat. Das Turnier gibt es seit über 100 Jahren, und zu den Siegern gehören große Namen wie Björn Borg, Ivan Lendl, Mats Wilander und Ilie Nastase sowie frühe Größen des spanischen Tennissports wie Manuel Santana und Andrés Gimeno. Und auch mein Freund Carlos Moyá.
Im Vorjahr konnte ich wegen meiner Fußverletzung nicht in Monte Carlo antreten, hatte aber jetzt das Gefühl, hier, auf dem Bodenbelag, mit dem ich aufgewachsen war, meinen ersten Sieg in einem großen ATP-Turnier zu erringen. Miami hatte ich mir nehmen lassen, aber nun war ich überzeugt, dass ich mir diese Chance nicht entgehen lassen würde. Nicht einmal, wenn ich wieder gegen Federer spielen müsste. Er schied jedoch im Viertelfinale aus, und so spielte ich im Finale gegen den Titelverteidiger, den Argentinier Guillermo Corsa.
Sandplätze sind gut geeignet für defensive Spieler. Außerdem kommen sie Spielern entgegen, die fit sind. Tennis erfordert die Schnelligkeit eines Sprinters und die Ausdauer eines Marathonläufers: losrennen, stoppen, losrennen, stoppen, und das über zwei, drei, vier, manchmal sogar bis zu fünf Stunden lang. Da der Ball auf Sandplätzen höher springt und länger in der Luft bleibt, sind die Ballwechsel und damit auch die Matchs länger; daher ist es schwieriger, Punkte zu erzielen und den eigenen Aufschlag durchzubringen. Der Ausdauerfaktor wirkt sich stärker auf das Ergebnis aus als bei anderen Belägen. Da die Winkel weiter sind, müssen die Spieler mehr laufen. Das Spiel ist geometrischer, wie mein Physiotherapeut Joan Forcades sagt. Man muss einen Ballwechsel allmählich aufbauen und länger als auf schnelleren Belägen warten, um den Gegner aus seiner Position zu drängen. Man muss also länger auf den Moment warten, an dem man realistisch daran denken kann, einen unspielbaren Winner zu versuchen. Außerdem braucht man eine Fertigkeit, die für ein Ballspiel eher ungewöhnlich ist: Ich nenne es Skaten. Beim Tennis lernt man, das Gewicht fest auf dem Boden auszubalancieren und Füße und Körper auf eine bestimmte Art zu positionieren, um einen Ball wirkungsvoll zu schlagen. Aber auf Sandplätzen verwandelt sich der weiche, körnige Sandbelag bei einem hohen Prozentsatz der Bälle in eine Rutschbahn, auf der man schliddert, um den
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