RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
Sandplätzen mag es durchaus stimmen. In Bestform kann ich schnell von Defensive auf Angriff umschalten und meinen Gegner damit überraschen; sogar demoralisieren. Aber wenn die Gewinnschläge nicht kommen und du es bestenfalls schaffst, jeden Ball zu erreichen, um eine Art menschlicher Mauer zu bilden, ist ein Sandplatz genau das, was du dir wünschst.
Mit dieser Zermürbungstaktik schaffte ich es bis ins Halbfinale gegen Federer, gegen den ich nun erstmals auf Sand spielte. Das Match fand an meinem 19. Geburtstag statt, und ein Sieg bedeutete für mich das denkbar schönste Geburtstagsgeschenk meines Lebens. Ich gewann tatsächlich in vier Sätzen. Zeitweise nieselte es, und Federer, der darauf brannte, seinen vierten Grand-Slam-Sieg unter Dach und Fach zu bringen, versuchte den Schiedsrichter zu einer Spielunterbrechung zu bewegen. Das war ein gutes Zeichen. Obwohl er sagte, der Regen setze ihm zu, wusste ich, dass ihm auch mein Spiel zu schaffen machte. Der Schiedsrichter unterbrach das Match nicht, und ich gewann. Danach kam das Finale gegen den Argentinier Mariano Puerta. Die Argentinier sind wie die Spanier Sandplatzexperten. Über weite Teile des Matchs spielte Puerta besser als ich. Damals beherrschte ich die Technik noch nicht, mich von meiner Umgebung und meinen Ängsten abzuschotten. Vollständig gelingt das zwar nie, sonst wäre man kein Mensch. Aber damals musste ich noch daran arbeiten, die nötigen emotionalen Abwehrmechanismen aufzubauen, um konstant zu gewinnen, und die Nervosität behinderte mich mental stärker, als es später in meiner Karriere der Fall war. Allerdings fehlte es mir in diesem Finale nicht an Energie. Puerta spielte gut, gut genug, um den ersten Satz 7:5 zu gewinnen. Wenn ich heute an dieses Match zurückdenke, fällt mir vor allem das Gefühl ein, keinen Moment Atem geholt zu haben. Ich kämpfte und rannte, als ob ich zwei Tage ununterbrochen so weitermachen könnte. Der Gedanke an einen möglichen Sieg war für mich so erregend, dass ich keinen Moment Müdigkeit verspürte, was wiederum Puerta zermürbte. Ich hielt durch. Bei den wichtigen Punkten war ich beständiger und gewann nach dem ersten verlorenen Satz die folgenden drei Sätze 6:3, 6:1, 7:5.
Innerhalb von knapp sechs Monaten hatte ich drei Gipfel erklommen, einer höher als der andere: den Daviscup, mein erstes ATP-Turnier in Monte Carlo und nun die French Open, mein erstes Grand-Slam-Turnier, der berauschendste Sieg von allen. Meine Gefühle lassen sich nicht beschreiben. Im Augenblick des Sieges drehte ich mich um und sah meine Familie, die völlig durchdrehte. Meine Eltern lagen sich in den Armen, meine Onkel schrieen, und schlagartig begriff ich, dass dieser Sieg trotz aller harten Arbeit, die ich investiert hatte, nicht allein der meine war. Ohne nachzudenken stürmte ich, nachdem ich Puerta die Hand geschüttelt hatte, in die Menge, eilte die Stufen hinauf und umarmte die Familie, allen voran Toni. Meine Patentante Marilén war da und weinte. »Ich konnte es gar nicht fassen«, erzählte sie mir später über ihre Reaktion auf den entscheidenden Punktgewinn. »Ich schaute dich an, einen großen, erwachsenen Champion mit in die Luft gereckten Armen, und plötzlich sprang mein Geist zurück in die Vergangenheit und ich sah einen todernsten, mageren Siebenjährigen zu Hause auf einem Tennisplatz in Manacor vor mir.«
Mir gingen ganz ähnliche Gedanken durch den Kopf. Ich hatte so hart und lange gekämpft, um dorthin zu kommen. Aber mir kamen auch Bilder von zu Hause und meiner Familie in den Sinn, und an jenem Tag begriff ich mehr denn je, dass du niemals allein aus eigener Kraft gewinnst, so sehr du dich auch engagieren magst. Die French Open waren mein Lohn, aber auch der Lohn für meine Familie.
Außerdem war ich erleichtert. Der Grand-Slam-Sieg hatte mir eine Last von den Schultern genommen. Alles, was das Leben von nun an noch bringen würde, wäre ein willkommener Bonus. Nicht etwa, dass ich in meinem Ehrgeiz nachlassen würde. Ich hatte einen Sieg auf höchster Ebene errungen, das hatte mir gefallen, und ich wollte mehr. Zudem hatte ich das Gefühl, nachdem ich einmal ein Turnier dieser Größenordnung gewonnen hatte, sei es weniger schwierig, es wieder zu schaffen. Nach diesem Sieg bei den French Open nahm in meinem Kopf die Idee Gestalt an, dass ich eines Tages Wimbledon gewinnen könnte.
Es bedarf keiner Erwähnung, dass Toni diese Vorstellung nicht teilte oder es mir zumindest nicht zeigen wollte. In
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