RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
Ball zu erreichen, und damit sind alle üblichen Regeln außer Kraft gesetzt. Wer nicht von klein auf an Sandplätze gewöhnt ist, tut sich mit dieser Fertigkeit schwer. Da ich vorwiegend auf Sand gelernt hatte, beherrschte ich sie, und weil ich schnell und fit war und nie einen Ball verloren gab, wusste ich, dass ich auf diesem Belag schwer zu schlagen bin, wenn ich erst einmal eine gewisse körperliche und mentale Reife erreicht hätte.
Mein erstes ATP-Turnier gewann ich in Monte Carlo: Ich besiegte Corsa im Finale. Es war ein merkwürdiges Match, das ich in vier Sätzen gewann – allerdings verlor ich den dritten Satz 6:0. Es folgte eine lange Siegesphase auf Sand in Barcelona und Rom. Nach dem Turnier in Rom standen die French Open im Roland-Garros-Stadion in Paris an. Es ist der Höhepunkt der Sandplatzsaison und das zweite Grand-Slam-Turnier des Jahres. Ich war noch nicht einmal 19 Jahre alt, stand auf Platz fünf der Weltrangliste und galt als Favorit.
Im Vorjahr hatte ich verletzungsbedingt nicht an diesem Turnier teilgenommen, war aber für zwei Tage nach Paris geflogen, um es mir anzusehen. Auf diese Idee waren Carlos Costa und mein Freund Tuts gekommen, mein Betreuer bei Nike, der die Reise organisiert hatte. Carlos fand es ratsam, dass ich die Umgebung kennenlernte und mich damit vertraut machte, denn er glaubte, dass ich dieses Turnier eines Tages gewinnen würde. Allerdings war für mich der Besuch in der großen Arena des französischen Tennissports weniger beeindruckend als frustrierend. Es war furchtbar für mich, nicht spielen zu können, und es machte mich geradezu krank, Matchs von Spielern anzuschauen, die ich durchaus hätte schlagen können. Carlos erinnert sich, dass ich sagte: »Nächstes Jahr gehört es mir.« Mein größter Traum war immer Wimbledon, aber mir war klar, dass Roland Garros ein Gipfel war, den ich zuerst bezwingen musste. Wenn ich in Frankreich nicht gewinnen konnte, würde ich es in England niemals schaffen.
Dennoch war es für mich überraschend, als die Sportpresse in mir den Favoriten für den Turniersieg 2005 sah. Ich hatte erst an zwei Grand-Slam-Turnieren teilgenommen – Wimbledon und US Open – und hatte es in keinem von beiden bis ins Viertelfinale geschafft. Sicher hegte ich gewisse Zweifel, ob ich unter dieser Konkurrenz bestehen würde. Außerdem war da noch Federer. Ihm fehlte nur noch Roland Garros, um seine Bilanz durch einen vierten Grand-Slam-Sieg abzurunden. Einerseits versuchte ich mir (mit dem Teil meines Kopfes, den Toni konditioniert hatte) klarzumachen, dass meine Favoritenrolle übertrieben und irrational sei, andererseits war ein Teil von mir (der wahnsinnig getriebene und ehrgeizige) wie vor einem Jahr davon überzeugt, dass ich das Turnier gewinnen konnte. Aber die Erwartungen, die ich geschürt hatte, belasteten mich und schufen eine zusätzliche mentale Bürde, die ich in den ersten Runden mühsam abschütteln musste. Ich hatte nicht das positive Gefühl, das ich brauche, um von meinen Siegchancen überzeugt zu sein, und war erheblich nervöser als sonst. Mein Körper war angespannter, als er hätte sein dürfen. Meine Beine waren schwer, meine Arme steif, und der Ball schnellte nicht so kraftvoll vom Schläger, wie er sollte. Wenn das passiert, bekommst du Angst, locker zu lassen, du lässt deinem natürlichen Spiel nicht freien Lauf, und alles wird erheblich komplizierter. Gegner, die du in den vorangegangenen Wochen problemlos geschlagen hast, werden plötzlich zu Giganten.
Meine Ernährung war auch nicht gerade hilfreich. Ich achtete nicht so sorgfältig wie heute darauf, meinen Appetit zu zügeln, und entwickelte in Paris plötzlich eine Vorliebe für Schokocroissants. Toni bemerkte das Problem, hatte aber seine eigene Art, damit umzugehen. Als Carlos Costa zu ihm sagte: »Lass ihn doch um Himmels Willen nicht dieses Zeug essen!«, antwortete er: »Nein, nein. Lass ihn ruhig das Schokogebäck essen. Nur so lernt er es, denn er bekommt Bauchschmerzen.« Wie üblich funktionierte seine Methode. Ich lernte schmerzhaft, während eines Wettkampfs nichts zu essen, was schwer verdaulich war.
Trotz meiner Nervosität und des selbst verschuldeten Schokoladenhandicaps überstand ich die ersten Runden der French Open. Francis Roig, mein Co-Trainer, behauptet, selbst mit 80 Prozent meiner Leistungsfähigkeit sei ich noch besser als die anderen, weil ich ihnen mental überlegen sei. Ich bin mir nicht sicher, ob das immer zutrifft, aber auf
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