RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
Star, aber er stand auf Platz 300 der Weltrangliste oder so. Eine Niederlage wäre für mich peinlich gewesen, und diesen Druck spürte ich deutlich.
Es war ein Abendspiel, und es war kalt. Mir machte die Kälte zu schaffen, ihm offenbar nicht. Er wirkte schon heiß, bevor wir auch nur den ersten Ballwechsel gespielt hatten. Eigentlich spielte er nicht in Bestform. Ich auch nicht. Aber er besiegte mich in zwei Sätzen. Es war ein so klarer Fall, dass ein Spieler durch überlegene mentale Stärke siegte, wie man ihn nur finden kann. Auf dem Circuit sah man andere Jugendliche im Alter von 16 Jahren, die nicht so gut waren wie er, sich aber auf dem Platz viel chaotischer verhielten und über den geringsten Rückschlag in Wut gerieten. Was ich an jenem Tag auf der anderen Seite des Netzes erlebte, war ein wirklich talentierter Spieler, der aber vor allem in seiner Konzentration, Professionalität und Fokussierung auf einem anderen Niveau war als ich. Einer, dessen schwaches Spiel zehnmal stärker war als das schwache Spiel irgendeines vergleichbaren Spielers. Und man darf nicht vergessen – ich sage das nur, um zu zeigen, wie bemerkenswert es war –, dass ich damals bereits ein Grand-Slam-Turnier gewonnen und im Finale der Australian Open gestanden hatte.
Nach dem Match umarmten wir uns am Netz, und er sagte: ›Es tut mir leid.‹ Das hätte er nicht zu sagen brauchen. Ich nahm die Niederlage gelassener, als ich vorher gedacht hätte. Mir war klar, dass es nur die erste von vielen Niederlagen war; dass Rafa die Zukunft gehörte, während ich zwar noch lange nicht am Ende, aber doch am Beginn meines Abstiegs war.«
Als der eine im Laufe der Jahre aufstieg und der andere abstieg, bemerkte Moyá zunehmend, welche einschüchternde Wirkung Nadal auf andere Spieler hatte. »Ich glaube nicht, dass er es jemals zugeben würde, und ich habe ihn nie danach gefragt, aber ich bin überzeugt, dass er seine Rivalen bewusst einschüchtert«, erklärt Moyá. »Privat ist er komplexer und verletzlicher, als er öffentlich erkennen lässt, aber seine Wirkung auf seine Gegner ist ganz und gar nicht komplex. Sie sind einfach nur von ihm eingeschüchtert. Seine Rituale sind an sich schon eine Schau. So etwas erlebt man bei keinem anderen Spieler. Und was seine körperliche Vorbereitung betrifft, so geht er praktisch schon schwitzend auf den Platz, was ich nie geschafft habe, aber es ist die ideale Verfassung, ein Match zu beginnen.«
Rafas Agent Carlos Costa, selbst ein ehemaliger Profispieler, ist mit Moyá einer Meinung, dass es etwas Beängstigendes hat, gegen Nadal anzutreten. Seiner Ansicht nach wirkt er auf seine Rivalen wie Tiger Woods zu seinen besten Zeiten auf die übrigen Profigolfer, nämlich wie ein dominantes Alphamännchen auf die restliche Horde. »Gegen Ende meiner Karriere trat ich bei einem Turnier gegen ihn an«, erzählt Costa, »ja, während des Matchs kam ein Punkt, an dem du Angst bekamst. Du wusstest, dass du einem geborenen Sieger gegenüberstandest. Rafael ist mental stärker als alle anderen; er ist aus einem besonderen Holz geschnitzt.«
Zudem besitzt er Charisma. Moyá, zu seiner Zeit ein großer Star, war Spaniens erster Tennisspieler, der auf Platz eins der Weltrangliste landete. Aber lange bevor Nadal es auf Platz zwei schaffte, übertraf er Moyá in seinem Heimatland und darüber hinaus an Popularität. Moyá sah in klassischem Sinne gut aus (die Zeitschrift People führte ihn im Mai 1999 in der Liste der »50 schönsten Menschen der Welt«), aber mit Nadals elementaren Reizen konnte er es nicht aufnehmen: Moyá war der elegantere Spieler mit dem kraftvolleren Aufschlag, aber Nadals wilde Kampfstärke besaß mehr Verführungskraft. Er sprach das Publikum auf eine Weise an, wie Moyá es nie konnte.
Moyá akzeptiert das in aller Gelassenheit, denn er weiß, dass er nicht in derselben Liga ist und war wie Nadal. Das gilt zwar nicht für das Talent, wohl aber für die Einstellung. »Rafas Kopf unterscheidet ihn vom Rest der Spieler. Auf dem Platz wird das nicht nur für den Rivalen deutlich, sondern auch für das Fernsehpublikum. Es ist unsichtbar, aber man spürt es. Seine Rückhand, seine Vorhand: die haben andere auch. Selbstverständlich hat er Talent. Ich glaube, ihm ist gar nicht klar, wie viel Talent er hat, denn er hat eine Tendenz, sich zu unterschätzen. Aber was das Mentale angeht, ist er nicht von dieser Welt. Ich kenne viele Spitzensportler, nicht nur im Tennis, und keiner hat das, was er
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