RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
Finale der Australian Open erlebt hatte. In Flushing Meadows war ich derjenige, der relativ frisch war und es bis ins Finale geschafft hatte, ohne einen Satz abzugeben, während Djokovic gerade ein Halbfinale über fünf Sätze gegen Federer hinter sich hatte, in dem er zwei Matchbälle abgewehrt hatte, bevor er gewann. Aber er hatte mehr Glück als ich in Melbourne. Die Verschiebung des Matchs um einen Tag wegen Regens war ein Segen für ihn, und als wir am Montag, dem 13. September, zum ersten Mal auf den Platz gingen, waren wir körperlich in ähnlicher Verfassung.
Die Atmosphäre in meinem Team war nicht so angespannt wie vor dem Wimbledon-Finale von 2008. Meine Eltern waren da, meine Schwester Maribel und diesmal auch meine Freundin María Francisca, und zwischen Training und Wettkämpfen in Flushing Meadows wagten wir uns ein oder zwei Mal – dem Ansturm der Leute trotzend – hinaus in die Geschäfte auf der Fifth Avenue, in unsere Lieblingsrestaurants und sogar in eine Broadway Show. (Wir hätten auch in einem Hotel in Flushing Meadows wohnen können, um dem Verkehr auf der Fahrt ins Tenniszentrum zu entgehen, aber bei den US Open anzutreten und nicht in Manhattan zu wohnen, hätte bedeutet, viel Spaß zu versäumen.) Anders als in Wimbledon schlief ich vor dem Finale gegen Djokovic ebenso gut wie während der zwei Turnierwochen und konnte sogar recht offen über das Match reden. Es war kein Tabu wie in Wimbledon. Mich plagten keine Erinnerungen an einen Zusammenbruch und Tränen in der Dusche. Über eines redeten wir allerdings nicht. Ohne dass ich es hätte ausdrücklich sagen müssen, war allen instinktiv klar, dass wir das eine, woran jeder, auch ich, dachte, nicht erwähnen würden: Wenn ich Djokovic besiegen sollte, würde ich das schaffen, was man in Amerika den Golden Slam nennt. Ich wäre der siebte Spieler, der jemals alle vier großen Tennisturniere gewonnen hätte, und mit 24 Jahren der jüngste, dem dies seit Beginn der »Open Era« 1968 gelungen wäre, als Profispielern erstmals die Teilnahme an Grand-Slam-Turnieren erlaubt wurde. Seitdem war es nur Rod Laver, Andre Agassi und Roger Federer gelungen, alle vier Turniere zu gewinnen. Die US Open zu gewinnen, die für mich das schwierigste der großen Turniere waren, wäre an sich schon bemerkenswert genug, dies aber zu schaffen, nachdem ich bereits Wimbledon, Paris und die Australian Open gewonnen hatte, wäre die Krönung meiner Karriere – und das war uns allen klar.
Aber niemand erwähnte dieses Thema in meiner Gegenwart, und die anderen sprachen nicht einmal untereinander darüber, wie sie mir später erzählten. Es war symptomatisch für die Einigkeit, die unter uns herrschte, und für die Geschlossenheit, die zwischen meiner Familie, meinem Team und mir bestand, dass jeder Einzelne für sich zu dem Schluss gekommen war, seine Gedanken für sich zu behalten. Sie spürten, dass es das ganze Unternehmen gefährdet sein könnte, wenn darüber geredet würde. Wir werden wohl nie erfahren, ob unsere stillschweigende Übereinkunft zu schweigen sinnvoll oder notwendig war, aber jeder in meiner Umgebung verstand, dass meine mentale Verfassung vor einem so wichtigen Match angespannt und anfällig war und sie mich extrem behutsam und vorsichtig behandeln mussten. Deshalb müssen Toni, Titín, Carlos, Benito und Tuts für mich nicht nur Fachleute, sondern auch Freunde sein, deshalb brauche ich ein Team um mich, das sich nicht nur kompetent um meine Bedürfnisse kümmert, sondern auch sensibel für mein Befinden ist. Deshalb möchte ich auch meine Familie um mich haben. Und deshalb muss ich meine Rituale in der Umkleidekabine immer in derselben Reihenfolge absolvieren und in jeder Pause zwischen den Spielen aus meinen beiden Wasserflaschen trinken. Es ist wie ein großes Kartenhaus: Wenn nicht jedes Teil exakt an seinem Platz ist, kann alles in sich zusammenstürzen.
MORD IM
ORIENTEXPRESS
Die Eisbäder, die Massagen der bleiernen Beine, die Vitaminpräparate und das Radeln auf dem Ergometer trugen alle zum Wunder von Melbourne bei. Aber Joan Forcades wertet es nicht als Erfolg seiner Ratschläge, die er in der Krise gab, sondern sieht den körperlichen Aspekt von Rafa Nadals Erholung und Sieg bei den Australian Open lediglich als ein Element eines komplexen Bildes. »Wenn man das Geheimnis von Rafaels Erfolg verstehen will, muss man an den Mord im Orientexpress denken«, erklärt Nadals Fitnesstrainer.
Forcades ist weder anmaßend noch
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