RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
Flushing Meadows, New York, 2010. © Miguel Angel Zubiarrain
Jubel über meinen Sieg in vier Sätzen gegen Djokovic im Finale der US Open 2010. © Miguel Angel Zubiarrain
Ich beiße in den US-Open-Pokal, der meinen Grand Slam komplett macht. © Miguel Angel Zubiarrain
DAS
VERLORENE
PARADIES
KAPITEL 8
Die Musik verstummte, ein sicheres Zeichen, dass das Match im Arthur Ashe Stadium gleich beginnen würde. Während des Einschlagens hatte die laute Musik in meinen Ohren gedröhnt – vom Echo der eigenen Schläge war hier nichts zu hören –, aber jetzt sollte es losgehen. Das Endspiel der US Open 2010 hatte begonnen, Djokovic hatte Aufschlag. Und nach dem Regen am Vortag schien nun eine strahlende Nachmittagssonne.
Der erste Ballwechsel, der sich über 21 Schläge erstreckte, war zwar großartig für die Fans, aber weniger für mich, denn Djokovic entschied ihn für sich. Da ich mich aber immer bemühe, die Dinge von ihrer besten Seite zu sehen, hatte er auch manch gute Aspekte. Ich hatte bei diesem Ballwechsel praktisch mein gesamtes Repertoire an Schlagtechniken eingesetzt, angefangen mit einem tiefen, langsamen Rückhand-Slice-Return auf seinen Aufschlag, gefolgt von einigen soliden Vorhandschlägen und einer kraftvollen Rückhand. Alle Schläge waren mir gut gelungen, und ich hatte den Ballwechsel kontrolliert und ihn in der Defensive gehalten, bis ich einen Stoppball spielte. Es war durchaus kein zögerlicher, ängstlicher Stoppball, sondern ein kalkulierter Offensivschlag. Aber Djokovic war zu schnell – er ist ungeheuer schnell, und es war nur gut, dass er mich frühzeitig daran erinnerte –, und so konnte ich seinen hoch auf die Rückhand gespielten Lob nur knapp erwischen und lahm zurückspielen, was ihm einen simplen Winner in die Feldmitte ermöglichte.
Mein Rückstand von 0:15 war allerdings noch kein Grund, entmutigt zu sein. Vielmehr hatte ich wieder ein gutes Gefühl und sah und hörte den Ball gut. Den Ball zu »hören«, wie Joan Forcades es gern nennt, bedeutet, bei jedem Schlag genau den richtigen Ton zu treffen, einen fließenden Kontakt zwischen Schläger und Ball herzustellen und Kopf und Körper in Einklang zu bringen.
Über meine Chancen machte ich mir keinerlei Illusionen. Beim nächsten Ballwechsel wollte Djokovic zu viel und schlug eine zu lange Vorhand. Anschließend versuchte er es ebenfalls mit einem Stoppball, der missriet und mir einen für ihn unerreichbaren Rückhand-Cross ermöglichte. Es folgte eine wilde, lange Rückhand, die ich mit einem Winner beantwortete. Schon im ersten Spiel gelang mir also ein Break, einen besseren Start konnte man sich nicht wünschen. Nun hatte ich beim Stand von 1:0 Aufschlag. Wieder gab es Grund zu feiern, denn nur selten in meiner Karriere hatte ich bessere Aufschläge geschafft als bei diesen US Open. Auf meinem Weg ins Endspiel hatte ich keinen Satz abgegeben und in 91 Spielen nur zweimal meinen Aufschlag verloren. Und das nicht ohne Grund.
Zu Beginn des Turniers hatte ich mich entschlossen, meine Griffhaltung leicht abzuwandeln und den Ball etwas weniger anzuschneiden, um ihm mehr Kraft zu geben, indem ich ihn voller schlug. Es war riskant, aber es funktionierte. Der Aufschlag war nie meine Stärke. Ich spiele ihn nicht so selbstbewusst wie meine Grundschläge. Meine Bewegungen laufen nicht so automatisch ab wie bei Federer, und manchmal verliere ich den Rhythmus, besonders in heiklen Situationen. Ich treffe den Ball nicht so hoch, wie ich sollte, und mein Körper verspannt sich. Vielleicht ist das eine Situation, in der es die mentalen Schaltkreise durcheinander bringt, linkshändig zu spielen, obwohl ich in den meisten anderen Dingen Rechtshänder bin. Irgendetwas in der Koordination von Gehirn und Körper arbeitet nicht immer so zuverlässig, wie es sollte.
Aber bei diesen US Open waren meine Aufschläge traumhaft. Ich donnerte viele gute erste Aufschläge heraus und gewann erheblich mehr »freie Punkte« als sonst. Lange hatte ich andere Spieler um die Sparsamkeit der großartigen Aufschläge beneidet, aber nicht bei diesem Turnier. Das Ergebnis war, dass ich auf dem Weg ins Finale auf dem Platz weniger viel laufen musste als sonst, Kraft sparen konnte und in das Match gegen Djokovic in einer guten körperlichen Verfassung ging, die gar nicht entfernter von meinem Zustand beim Finale der Australian Open im Vorjahr hätte sein können.
Noch nie war ich frischer in die US Open gegangen. Körperlich und geistig entspannt war
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