RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
alles änderte sich nun. Mein Vater zog aus unserem Haus in Porto Cristo aus und war nicht mehr dabei, wenn wir aßen oder fernsahen. Wo wir früher gelacht und gescherzt hatten, herrschte nun bedrücktes Schweigen. Aus dem Paradies war ein verlorenes Paradies geworden.
Auf mein Tennisspiel hatte diese Situation seltsamerweise keine unmittelbaren Auswirkungen. Ich hatte einen guten Lauf, der mich noch zwei Monate weitertrug. Ich gewann in Monte Carlo, Barcelona, Rom und sogar auf dem Hartboden in Indian Wells, was eher überraschend war. Im Augenblick des Sieges empfand ich jedoch keine Freude, nur mein Körper vollführte automatisch die entsprechenden Bewegungen. Meine Stimmung war schlecht. Ich war deprimiert und ohne Begeisterung. Äußerlich war ich weiterhin ein Tennis spielender Automat, aber innerlich hatte ich jegliche Lebensfreude verloren.
Mein Team war ratlos, wie es auf meine finstere Stimmung reagieren sollte. Carlos, Titín, Joan und Francis Roig, der mich an Tonis Stelle nach Indian Wells begleitete, erlebten mich als völlig veränderten Menschen, als distanziert, kühl, wortkarg und barsch. Sie machten sich Sorgen um mich und um die Auswirkungen, die die Trennung meiner Eltern auf mein Spiel haben würde. Ihnen war klar, dass ich nicht mehr lange gewinnen konnte und irgendetwas passieren musste. So kam es auch. Als Erstes machten mir meine Knie zu schaffen. Erste Schmerzen verspürte ich im März in Miami. Woche für Woche verschlimmerten sie sich, aber es gelang mir, trotzdem weiterzuspielen. Bis ich Anfang Mai in Madrid nicht mehr konnte. Der Geist schaffte es nicht mehr, die Materie zu überwinden, und ich musste pausieren.
Zwei Wochen später war ich bei den French Open wieder dabei. Vielleicht hätte ich nicht im Roland-Garros-Stadion antreten sollen, aber ich hatte das Turnier im Vorjahr zum vierten Mal gewonnen und fühlte mich verpflichtet, meinen Titel zu verteidigen, so unwahrscheinlich mir ein Sieg auch erscheinen mochte. Entsprechend verlor ich in der vierten Runde gegen den Schweden Robin Soderling – die erste Niederlage, die ich je in diesem Turnier erlebte. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Es hatte mich große Mühe gekostet, mich für die French Open in Form zu bringen und die Trennung meiner Eltern wie auch die Schmerzen in meinen Knien zu überwinden, aber nun war mir klar, dass ich seelisch und körperlich angeschlagen war und so nicht weitermachen konnte. Unendlich traurig sagte ich meine Wimbledon-Teilnahme ab und gab damit die Chance auf, den im Vorjahr so hart errungenen Titel zu verteidigen, der mir so viel bedeutete. Der unmittelbare Grund waren meine Kniebeschwerden, aber ich wusste, dass die eigentliche Ursache meine seelische Verfassung war. Mein Wettkampfeifer war dahin, das Adrenalin versiegt. Nach Joan Forcades Ansicht besteht ein »holistischer«, also ein ganzheitlicher Zusammenhang von Ursache und Wirkung zwischen emotionalem Kummer und körperlichem Zusammenbruch. Wenn der Kopf unter permanenter Belastung steht, man schlecht schläft und abgelenkt ist – wie es bei mir damals der Fall war –, hat dies verheerende Auswirkungen auf den Körper. Die Muskeln erhalten Signale, die unter Wettkampfdruck zu Verletzungen führen. Ich bin überzeugt, dass Joan Recht hat.
Zu Hause statt in Wimbledon zu sein erinnerte mich jede Minute daran, wie dramatisch sich unser Leben verändert hatte, was meinen Kummer und meinen Rückzug in mich selbst noch verstärkte. Ich trainierte zwar weiterhin mit Joan im Fitnessstudio und widmete mich speziellen Übungen, um die Heilung meiner Knie zu befördern, aber es mangelte an Intensität, weil der Wille fehlte. In diesem Jahr gewann Federer Wimbledon, nachdem er einen Monat zuvor erstmals bei den French Open gesiegt hatte. Damit jagte er mir Platz eins der Weltrangliste wieder ab, den ich ziemlich genau ein Jahr zuvor von ihm übernommen hatte. Es war ein Schlag für mich, den ich unter normalen Umständen jedoch als weitaus schmerzlicher empfunden hätte. Als Verlust empfand ich vor allem das, was zu Hause passierte.
Ich bin kein Simulant. Hätte ich mich gesund gefühlt, wäre ich der Tour niemals ferngeblieben. Nach der Wimbledon-Pause kehrte ich Anfang August zurück und spielte zunächst in Toronto und anschließend in Cincinnati. Meine Knie hielten gerade so durch, auch wenn ich keines der beiden Turniere gewann. Aber in Cincinnati erlebte ich einen weiteren Rückschlag: Ich zog mir einem Bauchmuskelriss zu. Das ist
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