RAFA: Mein Weg an die Spitze (German Edition)
ich am Montag eine Woche vor Turnierbeginn in New York eingetroffen und hatte an diesem und am folgenden Tag jeweils eine Runde Golf gespielt. Als Toni am Mittwoch aus Mallorca einflog, trainierte ich wieder mit höchster Intensität und voller Kraft.
Die Arbeit, die ich in meinen Aufschlag investiert hatte, zahlte sich im zweiten Spiel des Finales aus. Ich nutzte die Chance, die Djokovic mir unerwartet früh geboten hatte, und ging mit 2:0 in Führung. Dann kam er jedoch zurück, brachte seinen Aufschlag durch und schaffte mit einigen blendenden Schlägen ein Break gegen mich zum 2:2. Für ein so wichtiges Match auf einem Belag, der den Aufschlagenden begünstigt, war es erstaunlich, dass mir erneut ein Break gegen ihn gelang – drei Breaks in fünf Spielen. Nach einem brutal langen Ballwechsel mit einem Einstand nach dem anderen holte ich den Punkt mit einem tiefen Winner auf seine Vorhandseite. Es kehrte wieder Ordnung ein, jeder brachte seine Aufschläge durch, und ich gewann den Satz 6:4.
Laut Statistik hatte ich nur ein Grand-Slam-Match von insgesamt 107 verloren, nachdem ich den ersten Satz gewonnen hatte. Es war allerdings nicht ratsam, auf diese Statistik zu bauen. Für alles gab es ein erstes Mal – oder in diesem Fall ein zweites Mal. Djokovic war nicht nur ein überaus talentierter Spieler, der an guten Tagen schwindelerregendes Tennis zeigen konnte, er hatte mich zudem bei unseren drei vorangegangenen Begegnungen auf Hartboden überzeugend geschlagen. Ich war dankbar für meine Chance, diese Bilanz zurechtzurücken, und angesichts der Kalamitäten der jüngeren Vergangenheit auch froh, dass ich überhaupt in diesem Finale stand. Noch zwölf Monate zuvor, Mitte 2009, hatte ich mir nur schwer vorstellen können, dass ich in diesem Endspiel stehen und um den vierten Grand-Slam-Titel kämpfen würde, denn nachdem das Jahr mit meinem Sieg bei den Australian Open furios begonnen hatte, kam es für mich schlimm und schlimmer.
Auf der langen Heimreise von Australien eröffnete mein Vater mir auf dem Flug von Melbourne nach Dubai, dass es zu Hause Probleme zwischen ihm und meiner Mutter gebe. Sehr bald begriff ich, dass er eine Trennung durchaus für möglich hielt. Zum Glück hatte er so viel Taktgefühl besessen, mir das nicht schon zwei Tage eher, also vor dem Endspiel, zu sagen, sonst hätte ich wohl kaum die Kraft gefunden, mich von dem Halbfinale gegen Verdasco zu erholen. Das war mir nun allerdings nur ein winziger Trost. Die Mitteilung machte mich sprachlos. Während der restlichen Heimreise sprach ich nicht mehr mit meinem Vater.
Meine Eltern waren die Stütze meines Lebens, und diese Stütze bröckelte nun. Die Kontinuität, die ich in meinem Leben so schätzte, war dahin, und die emotionale Ordnung, auf die ich angewiesen war, hatte einen schweren Schlag erhalten. Eine andere Familie mit erwachsenen Kindern (ich war 22 und meine Schwester 18 Jahre alt) hätte eine Trennung der Eltern vielleicht besser verkraftet. In einer Familie wie der unseren, in der eine so enge Verbundenheit und Einigkeit herrschte, in der es keine erkennbaren Konflikte gegeben hatte und alle nur Harmonie und gute Stimmung erlebt hatten, war das unmöglich. Zu erfahren, dass meine Eltern nach nahezu 30 Jahren Ehe eine solche Krise durchmachten, brach mir das Herz. Meine Familie war für mich immer der heilige, unantastbare Kern meines Lebens, mein Stabilitätszentrum und ein lebendiger Hort meiner wunderbaren Kindheitserinnerungen. Plötzlich und ohne jede Vorwarnung hatte das Bild der glücklichen Familie Risse bekommen. Ich litt mit meinem Vater, meiner Mutter und meiner Schwester, die alle eine furchtbare Zeit durchmachten. Alle waren betroffen, meine Onkel, meine Tante, meine Großeltern, meine Cousins und Cousinen. Unsere ganze Welt geriet ins Wanken, und zum ersten Mal, seit ich denken konnte, gestaltete sich der Umgang innerhalb der Familie unnatürlich und befangen; anfangs wusste keiner, wie er reagieren sollte. Bis dahin war ich immer gern nach Hause gekommen, nun war es seltsam und unbehaglich.
In all den Jahren ständiger Reisen und der zunehmend hektischen Ansprüche, die der wachsende Ruhm an meine Zeit stellte, waren Manacor und der benachbarte Küstenort Porto Cristo für mich eine Oase der Ruhe, eine Welt der Privatheit, in der ich von dem Celebrity-Wahnsinn Abstand gewinnen und ganz ich selbst sein konnte. Fischen, Golfspielen, Freunde, die Alltagsroutine des Mittag-und Abendessens im Familienkreis – das
Weitere Kostenlose Bücher