Rafflenbeul, S: Elfenzeit 14: Der Magier von Tokio
Nadja.«
In dem Moment fiel Nadja ein silberner Schemen auf. »Dort!« Aufgeregt zeigte sie auf das Ende des Gangs. Vor einer riesigen Flügeltür stand ein junges japanisches Mädchen in menschlicher Kleidung. Seine Umrisse flimmerten kurz auf und verschwanden. »Was war das?«
»Wir nennen es eine Sichtung. Hin und wieder kommt das vor. Unsere Festung existiert in beiden Welten, musst du wissen. Sie liegt auf der menschlichen Seite im Bandai-San-Gebirge und wird noch heute von Touristen besucht. Oder vielleicht auch nur ihre Überreste. So genau weiß ich das nicht.«
»Waren die Grenzen schon immer so verwoben?«
Naburo schüttelte den Kopf. »Die Tenna hat die Grenzen getrennt, doch ihre Macht lässt nach. Je schwächer sie wird, desto öfter erblicken wir hier Rundohren.«
Sie waren am Ende des langen Ganges angekommen. Der Elf stieß eine gewaltige, schwarz lackierte Flügeltür auf, die über und über mit Pflaumenblüten bemalt war. Aus dem Raum dahinter drang der Klang einer Laute.
Nadja folgte Naburo in einen weitläufigen Saal, in dem alle Gespräche verstummten. Der Lautenspieler ließ sein ungewöhnlich aussehendes Instrument sinken. Elfen drehten sich aufmerksam um und musterten die Neuankömmlinge. Es waren Höflinge, fast alles menschenähnliche Wesen mit weißer Haut und in teuren Gewandungen aus Seide und Goldbrokat. Ihre schwarzen Augen glänzten im Licht zahlreicher Flammenbecken, die an den schwarzen Wänden des Saales standen. Zusätzlich verbreitete ein großes Oberlicht einen diffusen, schattenlosen Schimmer. Der Boden war mit dunkelroten Tatami-Matten belegt. Mehrere mit Drachen verzierte Säulen stützten das hohe Kuppeldach.
Auf einem Thron, der aus einem einzigen grünen Edelstein geformt war, saß die Tenna Amuyana-tudori-sakara und blickte Nadja entgegen. Auch ihre Haut war weiß wie Alabaster, die Lippen nur an einem schmalen Stück der Unterlippe blutrot. Lackschwarze Haare waren kunstvoll mit perlenbesetzten Kämmen aufgesteckt. Das Gewand der Herrscherin übertraf die Kleider der Höflinge bei Weitem. Überall hatte man feuerrote Edelsteine eingewirkt, die sich von dem helleren roten Stoff absetzten und einen starken Kontrast zum Thronstuhl aus dunkelgrünem Malachit boten.
Sie wirkt selbst wie eine Flamme
, durchfuhr es Nadja.
Ein Licht in der Dunkelheit
.
Die schönen Züge der Kaiserin waren herrisch, und doch lag eine sanfte Linie um ihren Mund, als sei ihr das Lächeln nicht fremd.
Die Tenna machte eine abwehrende Geste mit der Hand, woraufhin sich ihre Höflinge erhoben und den Raum verließen. Mehrere junge Elfen standen von den mit Tatami belegten Stufen auf, die zum Thron hinaufführten. Nadja fiel eine besonders traumhaft schöne Elfe in einem Brokatgewand auf, das wie junges Gras schimmerte. Sie hielt einen zusammengeklappten weinroten Fächer in der Hand und trug eine Steckfrisur, die nicht minder aufwendig war als die der Tenna selbst.
Auch Naburo zog sich zurück, und Nadja ging zögernd näher an den Thron heran. Die Tenna erhob sich und trat zwei Stufen herab. Überrascht bemerkte Nadja, wie klein und zierlich sie für eine Elfe war. Naburo schien zu den größten Elfen des Hofes zu zählen.
»Sei mir willkommen in meinem Reich, dem Land der roten Sonne hinter Nebeln.« Die Stimme der Tenna klang weich, angenehm, doch Nadja konnte sich gut vorstellen, wie sie leise und scharf wurde.
Sie ist ganz und gar eine Herrscherin. Wie Bandorchu
.
Nadja lächelte. »Ich bin Nadja Oreso. Ich danke Euch für die Einladung und den freundlichen Empfang, Tenna Amuyana-tudori-sa-kara.« Sie hatte sich den Namen gut gemerkt, wie sie es als Journalistin gelernt hatte.
»Die Freude liegt ganz bei mir«, sagte die Tenna höflich. Nadja konnte nicht einschätzen, ob die Elfenkaiserin meinte, was sie sagte. »Dein Sohn Talamh ist wie ein Anker in der Finsternis. Vielleicht wird er das sinkende Schiff der Unsterblichkeit vor dem Untergang bewahren.«
»Nun«, begann Nadja zögernd, ohne darauf einzugehen. »Ich nehme an, Ihr wisst bereits, warum ich zu Euch komme?«
»Fanmór teilte mir mit, dass er nach seinen Kindern suchen lässt, die sich in meinem Reich befinden sollen. Doch ich konnte sie hier nicht ausfindig machen.«
»Ich vermute, jemand hat sie in seiner Gewalt, vermutlich in der Menschenwelt. Ein Magier. Er nennt sich Cagliostro.«
»Cagliostro«, wiederholte die Tenna gedankenschwer. Wieder konnte Nadja nicht erschließen, was sie dachte. Das weiße Gesicht der
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