Rage Zorn
Erfahrung. Ich höre Menschen in jeder nur denkbaren Stimmung zu. Sie erzählen mir unter Lachen oder auch unter Tränen aus ihrem Leben. Sie teilen ihre Freuden, Sorgen, Trauer, ihr Liebesleid und Herzensglück mit mir. Manchmal lügen sie mich an. Normalerweise kann ich es hören, wenn sie mich anlügen oder mir Emotionen vorspielen, weil sie mich beeindrucken möchten. Das kommt immer wieder vor, weil manche Menschen glauben, dadurch die Chancen zu erhöhen, dass ihr Telefonat ausgestrahlt wird.«
Sie deutete auf den Recorder. »Er hat mit keiner Silbe eine mögliche Ausstrahlung erwähnt. Deswegen hat er nicht angerufen. Er hat angerufen, weil er eine Botschaft für mich hatte, und ich hatte nicht das Gefühl, dass er mich anlog oder mir etwas vorspielte. Ich glaube nicht, dass es sich um einen getürkten Anruf handelt. Ich glaube, dass er genau das getan hat, was er behauptet, und es auch weiterhin tun wird.
Wenn Sie sich dadurch besser fühlen, können Sie mich weiterhin beleidigen, aber ganz gleich, was Sie sagen werden, ich werde mit aller Kraft dazu beitragen, dass die Polizei Ihre Tochter wohlbehalten zu Ihnen zurückbringt.«
Die angespannte Stille, die sich nach Parisâ Ansprache einstellte, wurde von Marian Kemp durchbrochen, die wieder in den Raum getreten war. Man hätte meinen können, dass sie den Augenblick abgepasst hatte. »Ich habe stattdessen Eistee mitgebracht.«
Ihr folgte ein uniformiertes Dienstmädchen mit einem Silbertablett
in den Raum. Auf dem Tablett standen hohe, mit Limettenscheiben und frischer Minze dekorierte Gläser mit Eistee. Jedes Glas stand auf einem bestickten Leinenuntersetzer. Neben einer Silberschale voller Zuckerwürfel lag eine zierliche Feinsilberzange bereit.
Nachdem die Gläser überreicht waren und sich das Zimmermädchen zurückgezogen hatte, stellte Curtis sein Teeglas verlegen auf dem Couchtisch ab. »Da wäre noch etwas, was Sie beide wissen sollten«, erklärte er den Kemps. »Besitzt Ihre Tochter einen Computer?«
Marian antwortete ihm. »Sie sitzt praktisch rund um die Uhr davor.«
Â
Der Richter und seine Frau lauschten in eisigem Schweigen, während Curtis vom Sex Club erzählte. Als er fertig war, verlangte der Richter als Erstes zu wissen, warum sich seine Frau einen solchen Schmutz anhören musste.
»Weil wir Zugang zu Janeys Computer brauchen.«
Der Richter überhäufte sie mit wütenden Beschimpfungen. Er und Curtis stürzten sich in eine hitzige Debatte über Ermittlungsmethoden, Privatsphäre und begründeten Verdacht.
SchlieÃlich mischte sich Dean in den Streit ein. »Ist die Sicherheit Ihrer Tochter nicht wichtiger als jeder rechtliche Einwand?« Sein Zwischenruf brachte beide zum Schweigen, was er sofort zu seinem Vorteil nutzte. »Wir brauchen eine Kopie von Janeys Festplatte.«
»Das lasse ich nicht zu«, fuhr ihn der Richter an. »Falls so etwas wie dieser Sex Club existiert, hat meine Tochter definitiv nichts damit zu tun.«
»Ein Forum, um Sex mit Fremden anzubahnen«, schniefte Marian Kemp. »Ekelhaft.«
»Und beängstigend, wie ich als Vater hinzufügen darf«, sagte Dean zu ihr. »Aber es ist immer noch besser, Bescheid zu wissen, als eine unangenehme Ãberraschung zu erleben, meinen Sie nicht auch?«
Offenbar nicht , dachte er, als weder der Richter noch seine Frau antworteten. »Wir möchten weder Janeys noch Ihre Privatsphäre verletzen. Aber vielleicht finden wir auf ihrem Computer einen Hinweis auf ihren Aufenthaltsort.«
»Wie zum Beispiel?«, wollte der Richter wissen.
»Freunde und Bekannte, von denen Sie nichts wissen. Menschen, die ihr E-Mails schicken.«
»Falls Sie etwas Verbotenes darauf entdecken sollten, hätte das vor Gericht keinen Bestand, weil Sie es auf illegale Weise beschafft hätten.«
»Worüber zerbrechen Sie sich dann den Kopf?«
Der Richter war in seine eigene Falle getappt und hatte es zu spät erkannt.
Dean fuhr fort: »Falls Janey ein E-Mail-Adressbuch angelegt hat, wovon ich überzeugt bin, könnten wir eine E-Mail als Rundbrief verschicken, in der wir fragen, ob jemand Janey gesehen habe. Wir können ihre Freunde bitten, sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen, falls sie etwas über Janey wissen.«
»Womit wir im Endeffekt aller Welt erklären würden, dass meine Gemahlin und ich nicht auf
Weitere Kostenlose Bücher