Rain Song
eine Institution zu präsentieren, die weltweit als Bildungsmedium anerkannt ist. Du hast die Fotos gesehen, die Lieder gehört. Exponate, Fotos und Lieder sind bestimmten Familien zugeordnet. Die Nachfahren dieser Familien besuchen das Museum und empfinden Stolz. In den Räumen des Museums finden Workshops statt, es werden Feste abgehalten, zeremonielle Mahlzeiten gekocht. Wir präsentieren nicht die Überbleibsel einer vergangenen Kultur, sondern zeigen, wie lebendig unsere Geschichte ist«, sagte er voller Leidenschaft.
Er sah Hanna an, erwartete, dass sie Argumente zur Verteidigung ihres Museums hervorbringen würde. Stattdessen begann sie zu lächeln.
»Okay«, sagte sie, »ich gebe zu, dass euer Makah-Museum das bessere Museum ist. Mustergültig, sozusagen. Politisch korrekt.«
Seine Stirn zog sich in Falten. Meinte sie das ernst oder wollte sie ihn nur auf den Arm nehmen? Es fiel ihm immer noch schwer, Hanna zu durchschauen. Mitunter hatte sie diesen spöttischen hellen Schimmer in ihren Augen.
Doch jetzt blickte sie ernst. »Ich zweifle oft an meiner Arbeit im Völkerkundemuseum, Greg. Aber wenn du so darauf herumhackst, muss ich sie einfach verteidigen.«
Greg stand auf und begann, das Geschirr und die Pfannen abzuräumen. »Ich will dann mal los«, sagte er.
»Wohin?«
»Meinen Stamm aus dem Wald holen.«
Das Lächeln verschwand aus Hannas Gesicht. »Aber … ich dachte … ich muss nach Vancouver Island, Greg.«
»Und ich muss diese Zeder aus dem Wald holen. Der Forstarbeiter wartet auf mich mit einem Hänger. Außerdem gibt es ein paar Leute, die auf die Zedernrinde warten. Du musst Geduld haben und mir vertrauen, Hanna, sonst wird das nichts.«
Unglücklich sah sie ihn an. »Geduld ist nicht meine Stärke, Greg. Ich will hier nicht herumsitzen und warten.«
»Das brauchst du auch nicht«, sagte er. »Du kannst mitkommen.«
Die Sonne brannte vom Himmel, als Greg die gefällte Zeder aus dem Wald am Archawat Peak holte. Paul Educket – ein von der Stammesverwaltung angestellter Forstarbeiter – hatte sie am frühen Morgen gefällt. Jetzt half er Greg, den Stamm mit der Motorsäge in Stücke zu teilen. Für den in Auftrag gegebenen Pfahl brauchte er ein vier Meter langes, so gut wie astfreies Stück. Educket trennte das von Greg angezeichnete Stück ab und mit einer Stahlwinde zogen sie es auf den Weg, wo der Hänger stand. Den Rest des Stammes teilten sie in kürzere Stücke und brachten sie auf dieselbe Weise zum Hänger.
Die Luft war feucht und schwer am Fuße der hohen Bäume. Hanna konnte nicht helfen und kam sich die meiste Zeit überflüssig vor. Nein, warten war nicht ihre Stärke.
Doch mithilfe der Motorsäge und der Seilwinde ging die Arbeit zügig voran. Als Greg und Educket eine Pause machten, erfuhr Hanna, wie das Ganze früher vonstattengegangen war, als die Makah noch keine motorisierten Werkzeuge und Hilfsmittel zur Verfügung hatten.
»Der erwählte Stamm«, erzählte Greg, »wurde von mehreren Männern mit Äxten gefällt und noch im Wald vom Holzschnitzer so weit behauen, dass die Männer ihn ins Dorf tragen konnten, wo er dann weiter bearbeitet wurde.«
Hanna sah ihn an und bemerkte, dass seine Haare sich verfärbt hatten. Sie waren heller geworden. Feiner gelber Pollenstaub lag auch auf seinen Augenbrauen. Er sah aus wie ein Fabelwesen. Sie atmete tief ein, weil sein Anblick ihr Herz in Aufruhr versetzte.
»Was ist denn?«, fragte Greg verunsichert. »Stimmt etwas nicht?«
»Deine Haare sind ganz gelb.«
»Deine auch.« Greg lächelte und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. »Das sind Kiefernpollen. Der Wind trägt sie manchmal von Oregon bis hierher.«
Die Pause war zu Ende. Mit einem Greifer hob Paul Educket den Stamm und die Stücke auf einen langen Hänger. Nachdem die Stämme mit Riemen gesichert waren, machte er sich auf den Weg in den Ort. Hanna und Greg folgten ihm im Pick-up. Als sie hinter dem Hänger hielten, erkannte Hanna die Holzwerkstatt wieder, vor der sie Jim zum ersten Mal begegnet war.
Sie stiegen aus und Hanna sah sich um. Der Arbeitsplatz des Meisterschnitzers hatte sich kaum verändert, das alte, einstöckige Gebäude mit dem großen Donnervogelrelief an der Frontseite wirkte noch genauso geheimnisvoll, wie es ihr damals vorgekommen war. Hier hatte Jim gewohnt. Doch sie war nie im Haus gewesen, nur hier unten, im Hof vor der Werkstatt.
Damals hatte sie mit Matthew Ahousat gesprochen, dem großen Meister, der im Freien an einem
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