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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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bisschen nachgelassen hatte.
    Als Oren ins Bett zurückkehrte, sah Hildred ihn besorgt an. »Es ist dein Zeh, nicht wahr?«
    Er nickte und setzte sich auf die Bettkante. »Ich habe im Traum gesehen, wie sich jemand am Kap zu Tode gestürzt hat.« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
    »Es ist eine Geisternacht«, versuchte Hildred, ihn zu beruhigen. »Der Ozean ist in Aufruhr. Da träumt man so manches.«
    »Es wird einen Toten geben«, seufzte Oren. »Ich weiß es.«
    Hildred strich ihrem Mann liebevoll über den Rücken. »Wenn es so sein soll, dann kannst du es nicht verhindern«, sagte sie ruhig. »Es kommt, wie es kommen muss.«
    »Aber ich bin der Polizeichef.«
    »Hast du jemanden in Verdacht?«
    »Nein«, brummte er, »das habe ich nicht.«
    »Dann leg dich wieder hin und schlaf. In vier Stunden klingelt der Wecker.« Sie knipste das Licht wieder aus.
    Oren legte sich wieder neben seine Frau, doch schlafen konnte er nicht. Die Sache mit dem Geländer ließ ihm keine Ruhe. Auch wenn seine Frau recht hatte: Er konnte gewisse Dinge zwar vorhersehen, beeinflussen konnte er sie jedoch nicht. Trotzdem musste er die Warnung seines Traums ernst nehmen.
    Es waren die Fremden in Neah Bay, die das Gleichgewicht des Ortes durcheinanderbrachten. Durch die neuen Tourismusprojekte kamen immer mehr und Hunter hatte das Gefühl, die Dinge nicht mehr im Griff zu haben. Es wurde Zeit, dass er seinen Posten an einen Jüngeren übergab. An jemanden wie Bill Lighthouse, der die traditionellen Werte noch zu schätzen wusste, sich aber in dieser veränderten Welt besser auskannte als er.
    Seufzend drehte Hunter sich auf die Seite. Gleich morgen früh würde er sich vergewissern, dass diese deutsche Frau Neah Bay auch wieder verlassen hatte. Er war sich sicher, dass das drohende Unheil und seine Träume mit ihr zusammenhingen, denn das Kribbeln in seinem Zeh hatte mit ihrem Auftauchen begonnen.

8. Kapitel
    Kurz nach Sonnenaufgang zog Hanna sich an und ging hinunter zum Strand. Sie liebte diesen Augenblick, dem Erwachen des Tages zuzusehen. Das Grau der See verwandelte sich in tiefes Blau und die Bäume am Ufer strahlten in frischem Grün. Der Sturm hatte allerlei Strandgut angespült. Sie wunderte sich, dass kaum Müll darunter war. Nur Treibholz und Unmengen Seetang in seinen verschiedenen Arten: Kelp – lange, plastikschlauchartige Gebilde, mit einer kürbisartigen Verdickung an der Wurzel. Muscheln und die begehrten Sanddollar, eine Art flacher Seestern, dessen kreisrundes Kalkgebilde mit dem fünfblättrigen Muster überall in den Souvenirläden entlang der Küste verkauft wurde.
    Eine salzige Brise wehte vom zurückweichenden Meer herüber. Diese endlose Fläche. Diese gewaltige Tiefe. Hanna schob die Hände in die Taschen ihrer Jacke und lief den Strand hinauf, vorbei an wirren Haufen von Seetang.
    Hinter der Gezeitenlinie entdeckte sie eine Feuerstelle und daneben einen aus Muscheln und Strandgut gelegten Kreis von etwa zwei Metern Durchmesser. Im Inneren des Kreises ein Kreuz. Erstaunt blieb sie stehen. Das war ein Medizinrad, wie sie es aus den Kulturen der Prärieindianer kannte. Sie bückte sich nach einer großen Herzmuschel, in deren Inneren dickes Perlmutt schimmerte.
    »Das könnte dich glatt fünfhundert Dollar Strafe kosten«, hörte sie eine Stimme hinter sich.
    Hanna fuhr herum und ließ erschrocken die Muschel fallen. Greg stand hinter ihr und ein Lächeln huschte über sein dunkles Gesicht. Er machte drei Schritte auf sie zu, bückte sich, hob die Muschel auf und rieb sie an seiner Jeans sauber, bevor er sie ihr gab. »Das Sammeln von Treibholz, Strandgut und Muscheln ist Fremden strengstens verboten. Was hier angespült wird, gehört den Makah.«
    Hanna steckte die Muschel in ihre Tasche. »Musstest du mich so erschrecken? Ich habe kein Schild gesehen.«
    »Weil du gar nicht hier sein dürftest.«
    Hanna sah ein amüsiertes Funkeln in Gregs Augen. Er trug ein schwarzes T-Shirt mit einem stilisierten roten Orca auf der Brust.
    »Diese Verordnung wurde erlassen, damit die Touristen die Muscheln im Souvenirladen kaufen«, sagte er und schob die Hände in die Vordertaschen seiner Jeans. »Iris muss schließlich auch von etwas leben.« Er grinste breit. »Aber ich werde dich nicht an Sheriff Lighthouse verraten, versprochen.«
    Na wunderbar.
    Hanna deutete auf den Kreis zu ihren Füßen. »Wer kann das gemacht haben?«
    »Keine Ahnung.« Greg zuckte mit den Achseln. »Die Jugendlichen aus dem Ort treffen sich

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