Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
Vom Netzwerk:
manchmal hier draußen und veranstalten ein bisschen zeremoniellen Hokuspokus. Hier werden sie nicht von den Touristen gestört, weil das kein öffentlicher Strand ist.«
    Hanna schluckte. War sie in der Nacht doch nicht so allein gewesen, wie sie geglaubt hatte? Sie war von Natur aus kein ängstlicher Typ, trotzdem behagte ihr der Gedanke nicht, dass sich hier ein paar Halbstarke versammelten, während sie nur knapp zweihundert Meter weiter allein in der Hütte war. Immerhin, es lagen keine Bierdosen herum, wie an den meisten Stellen, wo Jugendliche Hokuspokus veranstalteten.
    »Hast du gut geschlafen?«, fragte Greg.
    »Nein«, gestand Hanna.
    Fragend sah er sie an.
    »Das Gewitter hat mir Angst gemacht. Außerdem …«
    »Was?«
    »Ich habe Geister gesehen.«
    Hanna lief hinunter zur Wasserlinie und Greg folgte ihr.
    »Geister?«
    »Tanzende Totempfähle und Masken mit glühenden Augen. Wolfsmasken. Ich dachte, ich werde verrückt.«
    »Du hast gestern zu viel Zeit in unserem Museum verbracht«, sagte er amüsiert. »Die Masken in den Vitrinen, die Gesänge vom Tonband, da kann man schon mal Albträume bekommen.«
    Hanna blieb stehen und sah ihn an. »Das ist lächerlich, Greg. Gegen so was bin ich immun. Ich arbeite in einem Museum.«
    »Okay«, sagte er, »es kommt eben manchmal vor.«
    »Was kommt manchmal vor?«
    »Dass man Geister sieht. Schließlich befindest du dich auf Indianerland. Sie sind hier zu Hause.«
    Na herzlichen Glückwunsch.
    »Greg?«
    »Ja?«
    »Sagt dir der Name Anaqoo etwas?«
    Er stieß mit dem Fuß eine große Muschel um und eine Krabbe, die sich darunter versteckt hatte, flitzte Richtung Meer. »Nein, wieso? Woher hast du diesen Namen?«
    »Jim hat ihn manchmal im Schlaf gerufen«, sagte Hanna. »Ich war eifersüchtig, ich dachte, der Name gehört einer schönen Frau.«
    »Vielleicht stimmt das ja«, sagte Greg, »aber ich kenne keine Frau mit diesem Namen.« Er bückte sich nach der Muschel und gab sie Hanna, die sie in ihrer Jackentasche verschwinden ließ.
    Als sie sich umdrehte, um noch einmal zurückzuschauen, wollte sie ihren Augen nicht trauen. Urplötzlich war eine dicke Nebelbank vom Meer kommend in Richtung Strand gezogen und ließ das Schwemmholz verschwinden. Der graue Sand schien zu wabern und zu rinnen. Immer dicker wurde der Nebel und ließ das Festland mit den grauen Wassern des Pazifiks verschmelzen. Alle Farben waren ausgelöscht.
    »Was ist denn los?«, fragte Greg.
    »Der Nebel, er ist unheimlich.«
    »Das ist nichts Besonderes«, sagte er, »so etwas passiert oft am Morgen. Gleich wird es vorbei sein und die Sonne wieder scheinen.« Greg nahm sie am Arm und zog sie in Richtung Haus. »Na komm, lass uns zurückgehen. Ich habe Frühstück mitgebracht.«
    Schinken und Eier brutzelten in zwei Pfannen auf den Elektroplatten und Hanna hatte Kaffee gekocht. Dazu gab es Zimtbrötchen und Orangenmarmelade. Gemeinsam deckten sie den Holztisch und Hanna setzte sich. Greg fiel auf, wie erschöpft sie wirkte, trotz ihrer von der frischen Luft geröteten Wangen.
    Hannas Frage ging ihm nicht aus dem Sinn. Der Name Anaqoo sagte ihm etwas, er wusste nur nicht, wo er ihn einordnen sollte. Der Name einer Frau war es jedenfalls nicht.
    Greg stellte die Pfannen auf den Tisch und setzte sich zu ihr.
    »Wo warst du eigentlich vor fünf Jahren, als ich hier war und Jim kennenlernte?«, fragte Hanna. Sie nahm sich Eier und Speck.
    »Nach dem College habe ich Kunst studiert«, antwortete er. »Danach bin ich in Seattle geblieben und habe für eine Galerie gearbeitet. Szenekneipen, experimentelles Theater, Vollkornmuffins, guter Kaffee und gute Musik – das hat mir gefallen. Ich hatte eine passable Wohnung mit Blick auf den Pudget Sound und konnte mich mit meinen Siebdrucken und der Malerei über Wasser halten.«
    »Warum bist du nach Neah Bay zurückgekommen? War es wegen einer Frau?«
    Greg, der gerade von seinem Kaffee getrunken hatte, verschluckte sich und hustete. Solche direkten Fragen war er nicht gewohnt. Er fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund.
    »Ja, wegen einer Frau«, sagte er schließlich.
    »Was ist aus ihr geworden?«
    »Sie sitzt mir gegenüber.«
    Hanna fiel klirrend die Gabel auf den Teller. »Was? Ich verstehe nicht …«
    Greg lehnte sich zurück. »Nein, wie solltest du auch.«
    Sie schaute ihn an und wartete darauf, dass er etwas sagte.
    »Wir Makah legen großen Wert auf den Zusammenhalt der Familie«, begann er. »Von meiner Familie waren nur noch mein Vater

Weitere Kostenlose Bücher