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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Klinge stand waagerecht zum abgewinkelten Stiel und war querseitig angebracht. Mit diesem speziellen Werkzeug begann er, den entrindeten Pfahl zu runden und zu glätten, damit er später die gewünschten Figuren anzeichnen konnte.

9. Kapitel
    Vom Erlös für ihre kunstvollen Körbe und Hüte konnten Gertrude Allabush und ihre Urenkelin Grace ihren Lebensunterhalt bestreiten. Neben Annie Waata und ihrer Mutter waren sie die Einzigen im Ort, deren Fertigkeiten sich bis zum Pudget Sound und bis hinüber nach Kanada herumgesprochen hatten. Dass ihre Korbarbeiten sich so gut verkauften, hatten sie Jim Kachook zu verdanken, dem Jungen, der den Makah vom Meer geschenkt worden war.
    Gertrude seufzte. Sie vermisste Jim schmerzlich, trotz der vielen Monate, die seit seinem Verschwinden vergangen waren. Sie erinnerte sich noch gut an die Zeit vor mehr als zwanzig Jahren, als er mit Greg ständig bei ihr aufgetaucht war. Sie hatte immer etwas zu essen für die beiden mutterlosen Jungen gehabt und sie mit Geschichten versorgt. Wie ein Schwamm hatte Jim diese Geschichten aufgesaugt, die von Tsonoqa, der Wilden Frau, vom Kwalti, dem Verwandler, oder von Kupferfrau, der Urmutter des Menschenvolkes, erzählten.
    Später, als aus Jim ein begnadeter Schnitzer geworden war, hatte er Gertrude und ihre Tochter Lana mit dem kostbaren Rindenbast für ihre Flechtarbeiten versorgt und ihre fertigen Körbe an Galerien in Seattle, Tacoma und Vancouver verkauft.
    Gertrude schüttelte den Kopf. Lana war schon vor langer Zeit einem furchtbaren Krebsleiden erlegen und ihre Tochter Celine ein paar Jahre später mit einem weißen Farmer aus Montana durchgebrannt. Ihre zehnjährige Tochter Grace hatte Celine bei Gertrude zurückgelassen. Der Farmer hatte Celine geschlagen und sie war wieder abgehauen, doch wo ihre Enkelin sich derzeit aufhielt, wusste Gertrude nicht.
    Männer schien es in dieser Familie nie für etwas anderes gegeben zu haben, als zur Zeugung eines neuen Allabush-Mädchens. Gertrude Allabush war zwar verheiratet gewesen, hatte ihren Mann aber nach kurzer Ehe wieder verlassen, als sie merkte, dass er herrisch und spielsüchtig war. Allabush-Frauen brauchten keinen Mann, um durchs Leben zu kommen. Sie konnten für sich selbst sorgen.
    Gertrude warf einen Blick auf ihre Urenkelin und musste lächeln. Das Mädchen hatte beim Flechten geschickte Hände und einen untrüglichen Sinn für schöne Muster. Sie hatte ihre Arbeit, einen größeren Korb mit Deckel, jedoch zur Seite legen müssen, weil ihr für das dunklere Muster der Zedernbast fehlte. Stattdessen arbeitete sie jetzt an einem winzigen Henkelkörbchen, aus dem sie später einen Ohrring fertigen würde.
    Gertrude wusste von Grace, dass Greg Ahousat eine Zeder gefällt hatte und so war ihnen der Nachschub an Rindenbast sicher.
    Die alte Indianerin war sehr erleichtert gewesen, als sie hörte, dass Greg in seiner Werkstatt arbeitete – und nicht im Strandhaus bei dieser Frau herumhockte und vielleicht Dummheiten machte, die er später bereuen würde. Sie fragte sich, wo Jim Kachook abgeblieben war, wenn nicht bei dieser Frau aus Deutschland, die vorgab, hier auf der Suche nach ihm zu sein?
    Als es klopfte, sprang Grace sofort von ihrer Arbeit auf.
    »Das ist bestimmt Greg, der uns den Rindenbast bringt«, sagte sie und eilte zur Tür.
    Aber es war nicht Greg, der hinter Grace ins Zimmer trat. Es war die rothaarige Frau aus Deutschland.
    Ihre Urgroßmutter war freiwillig in die Küche verschwunden, um Tee zu kochen, und Grace arbeitete weiter an ihrem winzigen Henkelkörbchen. Hanna saß auf demselben Stuhl, auf dem sie schon vor zwei Tagen gesessen hatte.
    Grace sah von ihrer Arbeit auf und begegnete dem Blick der Deutschen. »Ich mache nicht viele davon«, sagte sie, »nur ein oder zwei Paar im Monat.«
    »Sie sind sehr schön«, bemerkte Hanna.
    »Ja, aber es gibt kaum jemanden, der sie kauft. Höchstens mal ein Sammler. Welche Frau will schon Makah-Fischkörbe am Ohr tragen?«, erwiderte Grace und lachte.
    Hanna hatte ihnen Grüße von Greg ausrichten lassen und ihnen von der Zeder erzählt. Außerdem hatte sie sich dafür bedankt, dass Gertrude ihr das Strandhaus überließ.
    Grace, die von Joey erfahren hatte, was am Kap passiert war, konnte ihre Neugier kaum zügeln.
    Sie warf einen Blick zur Tür. »Und Sie sind wirklich von der Steilküste gestürzt?«
    »Woher weißt du das?«, fragte Hanna.
    Grace merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Bemüht beiläufig zuckte sie

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