Rain Song
und ich übrig geblieben. Jim, in den er so viele Hoffnungen gesetzt hatte, war nicht zurückgekehrt. Ich konnte meinen Vater nicht allein lassen, er hatte ja nur noch mich und ich hatte Verpflichtungen ihm gegenüber.«
Greg dachte an den Tag zurück, als er – seine Habe in zwei Taschen – in der Tür des neuen Hauses am Sooes Beach gestanden hatte. »Endlich bist du wieder hier, wo du hingehörst, mein Sohn«, hatte sein Vater ihn willkommen geheißen. »Gleich morgen werde ich damit beginnen, dir beizubringen, wie man schnitzt.«
»Ich bin Maler, Vater«, hatte Greg protestiert. »Ich habe vier Jahre Kunst und Malerei studiert.« In der Tasche trug er seinen Abschluss, einen Bachelor of Arts. Er liebte Farben und seine Siebdrucke hatten auf Ausstellungen breite Anerkennung gefunden.
Doch damals war ihm klar geworden, dass es seinen Vater nicht interessieren würde, ganz gleich, was er als Entgegnung hervorbrachte.
Matthew Ahousat interessierte nur eins. »Ich werde dich das Schnitzen lehren, Greg. Und eines Tages wirst du besser sein, als er es jemals gewesen ist.«
Er. Damit hatte er Jim gemeint. Den Verräter.
Daraufhin hatte Greg geschwiegen. Was hätte er auch sagen sollen? Er bezog sein Zimmer im neuen Haus, und als es dunkel wurde, ging er hinunter zum Strand. Die halbe Nacht hielt er Zwiesprache mit dem Meer. Am nächsten Morgen erschien er pünktlich in der Werkstatt seines Vaters und ließ sich von ihm zeigen, wie man die selbst gebauten Werkzeuge aus Feilenstahl einsetzte, um unter ihren scharfen Messern Rabe, Wal, Lachs, Bär und den Donnervogel entstehen zu lassen.
Greg wusste nicht, warum er das tat, aber er erzählte Hanna alles.
»Das tut mir leid, Greg«, sagte sie leise, als er geendet hatte. »Ich habe das nicht gewusst.«
Sie wirkte ehrlich bestürzt und der silbrige Schimmer in ihren schönen Augen irritierte ihn. »Bloß kein Mitleid«, sagte er, »mein Leben ist okay.«
Er wollte sie nicht anstarren, deswegen redete er einfach weiter. »Inzwischen kann ich gut vom Schnitzen leben. Unser Museum vermittelt hin und wieder einen größeren Auftrag an mich und ich habe über eine Handvoll Galerien feste Abnehmer für kleinere Stücke wie Masken und Miniaturpfähle. Es gibt Leute, die eine Menge Geld übrig haben, um ihre Häuser mit original indianischen Kunstwerken zu schmücken. Mein Vater nimmt solche Aufträge aus Prinzip nicht an. Am Ausverkauf unserer Kultur will er sich nicht beteiligen.«
Hanna schien froh zu sein, dass ihr Gespräch diese Wendung nahm. »Dein Vater war wütend auf Jim, weil er einen Wappenpfahl für ein europäisches Völkerkundemuseum geschnitzt hat, nicht wahr?«
Greg nickte. »Er behauptet, Völkerkundemuseen seien die Schatztruhen blutiger Artefakte unserer Kultur.« Er blickte Hanna an und sah, wie sie nach Worten rang. »Hast du dich je gefragt, ob es richtig ist, dass Gegenstände, die von unseren Vorfahren geschaffen wurden, jetzt in den Vitrinen europäischer Museen herumliegen?«
»Sie liegen nicht herum, Greg«, verteidigte Hanna ihre Arbeit. »Sie werden jeden Tag von interessierten Menschen betrachtet. Die meisten Stücke in unserem Museum sind Leihgaben der bedeutendsten Sammlungen Mitteleuropas. Die Artefakte aus Amerika zu holen, hätte sich das Museum gar nicht leisten können.«
»Aber das ist es ja«, sagte Greg ärgerlich. »Was machen die Gebrauchsgegenstände unserer Großeltern in den Glasvitrinen europäischer Museen? Ganz zu schweigen von Tanzmasken oder anderen Kultobjekten? Manche Stücke wurden aus Gräbern gestohlen oder von den Behörden beschlagnahmt, als sie unsere Feste und Tänze verboten.« Mit finsterer Miene nahm er einen Schluck Kaffee.
»Auf die Zurschaustellung von Objekten, die als heilig gelten, wird in unserem Museum verzichtet«, entgegnete Hanna bestimmt. »Wir haben zwar eine Bildungspflicht, aber wir sind keine Barbaren, auch wenn es sich für dich so darstellt.«
»Bildungspflicht«, wiederholte Greg skeptisch. »Glaubst du, irgendwelche Leute können sich ein Bild von unserer Kultur machen, nur weil sie ein paar furchterregende Masken gesehen haben?«
Hanna sah Greg angriffslustig an. »Ihr habt selbst ein Museum in Neah Bay, wo ist da der Unterschied?«
»Der Unterschied ist, dass unser Museum sich Makah-Museum nennt und Makah-Kultur und Makah-Vergangenheit bezeugt. Wir präsentieren uns selbst, Hanna. Uns und unsere Sicht der Welt. Dieses Museum ist eine Möglichkeit, unsere eigene Identität durch
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