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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Hälfte habe ich Gertrude versprochen.«
    »Kommt dein Vater bald zurück?«, fragte Annie, ohne auf Gregs Angebot zu reagieren.
    Vermutlich war sie zu stolz, um sich vor Hanna bei ihm zu bedanken.
    »Nicht vor Freitag, denke ich.«
    »Am Freitag ist das Potlatch«, erinnerte sie ihn. »Dein Vater hat gesagt, dass du da sein wirst, Greg.«
    Es war ungehörig, dass Annie ihn vor Hanna unter Druck setzte und er ärgerte sich darüber. Aber er ließ es sich nicht anmerken. Die Situation war zu heikel, er wollte Annie nicht dazu provozieren, etwas Unüberlegtes zu sagen.
    »Ich weiß noch nicht, Annie, vielleicht.«
    Es würde ein kleines Fest am Strand von Neah Bay werden. Geburtstage waren normalerweise kein Grund für ein Potlatch, das ursprünglich anlässlich einer Geburt, einer Eheschließung, einer Namensgebung oder eines Todesfalles abgehalten wurde. Das Wort Potlatch stammte aus der Sprache der Chinook-Indianer und bedeutete so viel wie weggeben.
    Annies Familie war angesehen und wohlhabend und konnte es sich leisten, solch ein kostspieliges Fest auszurichten. Es würde gutes Essen geben, getanzt werden und anschließend würde Annie vor Zeugen die Privilegien ihrer Familie übertragen bekommen. Jeder der geladenen Gäste würde mit einem Geschenk nach Hause gehen, auch wenn er später nicht in der Lage sein sollte, sich dafür zu revanchieren.
    Die Zeiten, in denen Potlatchfeste tagelang dauerten und die Mächtigen ihre Gegner mit wertvollen Geschenken in den Ruin trieben, waren längst vorbei.
    Annie verabschiedete sich kühl von Hanna und Greg. Sie stieg in ihren Wagen und fuhr davon. Er sah dem grünen Ford nach und räusperte sich verlegen. Wie sollte er Hanna diese merkwürdige Situation erklären, ohne dass sie falsche Schlüsse daraus zog?
    »Was ist es denn für ein Potlatch?«, fragte sie ihn.
    »Ihr Geburtstag.«
    »Und wie alt wird sie, dass ihr Vater so eine große Party veranstaltet?«
    »Dreißig«, antwortete Greg. »In diesem Alter sollte ein Makah-Mädchen längst verheiratet sein und mindestens vier Kinder haben. Mit diesem Fest macht ihr Vater noch einmal alle unverheirateten Männer passenden Alters darauf aufmerksam.«
    »Und in erster Linie dich«, bemerkte Hanna und er sah wieder diesen spöttischen Schimmer in ihren Augen.
    »Möglicherweise«, brummte Greg verdrießlich. Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen und auch ohne Erklärung die richtigen Schlüsse gezogen.
    Sie fuhren zusammen zu Washburnes Supermarkt, um einen Happen zu essen, danach wollte Hanna versuchen, ihre Eltern anzurufen, um ihnen zu sagen, dass es ihr gut ging, und um ein paar Worte mit Ola zu sprechen.
    »Geh ruhig an deine Arbeit«, sagte sie zu Greg, »ich komme schon zurecht. Ich muss mich ein bisschen bewegen, vielleicht gehe ich auch noch mal ins Museum. Ich kann ja später zu dir in die Werkstatt kommen.«
    »Okay.« Er hoffte, dass sie ihm die Erleichterung nicht ansah. Greg fühlte sich für Hanna verantwortlich, aber nach der Begegnung mit Annie brauchte er ein wenig Zeit, um sich über ein paar Dinge klar zu werden. Bei der Arbeit am Pfahl würde ihm das am besten gelingen und Hanna war gut aufgehoben im Museum. »Treffen wir uns gegen fünf wieder hier«, schlug er ihr vor.
    Greg fuhr zurück in die Werkstatt und machte sich daran, den Zedernstamm mit einer scharfen Ziehklinge zu entrinden. Die Arbeit ging ihm gut von der Hand und der Haufen mit den langen Rindenstreifen wurde immer größer. Rötliche Fetzen hingen vom Stamm und er ging immer wieder mit der Ziehklinge darüber.
    Während er arbeitete, dachte Greg über seine Beziehung zu Annie Waata nach. Die im Grunde keine Beziehung war. Er hatte sie noch nicht einmal geküsst. Natürlich war ihm schon seit längerer Zeit aufgefallen, dass sie seine Nähe suchte. Annie war eine Schönheit und Greg hatte nichts gegen sie, doch in ihrer Gegenwart fühlte er sich jedes Mal unbehaglich. Annie hatte nichts Natürliches an sich, zumindest nicht im Umgang mit ihm. Als ob etwas zwischen ihnen stand, etwas, das ihn vorsichtig sein ließ.
    Aber Greg wusste nur zu genau, was sie und ihre Verwandten von ihm erhofften. Sogar sein Vater wollte, dass er Annie Waata heiratete.
    Schweiß stand auf Gregs Stirn, als er die Ziehklinge endlich zur Seite legte. Die Deckschicht des Stammes, der weiße Splint, lag jetzt glatt und sauber vor ihm. Er machte eine kleine Pause und trank aus seiner Wasserflasche. Von Hanna noch keine Spur. Also griff er zur Ellenbogenaxt. Ihre

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