Rain Song
voneinander getrennt. Im Meer vier Lachse, die in eine Richtung schwammen. Über allem ein Mond, der über dem Felsen in der gelben und orangefarbenen Himmelsschicht festhing und dessen rotes Auge den Betrachter des Bildes genau fixierte.
Hanna bewunderte die sensible künstlerische Ausdrucksweise. Es war überflüssig zu fragen, wer diesen Druck gemacht hatte, aber sie tat es trotzdem.
Rosie hielt einen Augenblick in ihrer Geschäftigkeit inne und lächelte. »Das Bild ist von dem gut aussehenden jungen Mann, mit dem Sie gekommen sind, Miss. Von ihm stammen auch all die anderen Bilder hier.« Sie nickte Hanna freundlich zu und verschwand durch eine Schwingtür in ihre Küche, aus der es nach Rührei, gebratenem Schinken und frischem Kaffee roch.
Auf der Toilette wusch Hanna Hände und Gesicht und kämmte ihr Haar. Dann ging sie zurück in den Gästeraum und setzte sich Greg wieder gegenüber.
»Deine Bilder sind beeindruckend«, sagte sie.
Gregs Blick ruhte einen Moment auf Hannas Gesicht.
»Rosie hat mich also verraten. Das sollte sie nicht. Ich mache keine Siebdrucke mehr.«
»Das ist wirklich schade. Du hast ein untrügliches Gespür für Farben. Sie erfüllen die Motive mit Leben.«
Greg sah aus dem Fenster, in Gedanken verloren. Offenbar war ihm das Thema unangenehm. Hanna deutete zu Rosie hinüber.
»Wie viele Weiße leben eigentlich in Neah Bay?«, fragte sie, während sie mit einem Plastikstäbchen ihren Kaffee umrührte.
»Ich glaube, so an die dreihundert«, sagte Greg. »Aber Rosie ist keine von ihnen. Rosie ist eine Makah und ihre Haare sind auch nicht gefärbt.« Er nippte vorsichtig an seinem Kaffee. »Bestimmt hast du im Museum etwas über unsere erste Begegnung mit den Spaniern gelesen.«
Hanna nickte. »Die Makah sind lange von den Europäern verschont geblieben, weil die Halbinsel durch breite Flüsse und dichte Wälder von Süden her unzugänglich und die Küste stürmisch und voller gefährlicher Klippen war.«
Greg lächelte. »Stimmt. Aber 1790 schafften sie es doch. Manuel Quimper – ein Mexikaner, der unter spanischer Flagge segelte – landete mit seinem Schiff Princesa Real in Neah Bay. Er gab dem Ort den Namen Bahia de Nunez Gaona, erneuerte seine Vorräte und segelte wieder davon, ohne bleibende Schäden hinterlassen zu haben. Doch zwei Jahre später kamen die Spanier wieder und diesmal errichteten sie ein Fort in der Bucht. Sie missbrauchten die Frauen und töteten jeden Makah, der sich ihnen entgegenstellte. Die Spanier plünderten all unsere Vorräte und raubten an Wertvollem, was ihnen unter die Finger kam.«
Und dieses Trauma hat sich in der offenen Wunde eines ganzen Volkes festgesetzt, dachte Hanna. Es saß in den argwöhnischen Blicken der Einheimischen, die ihr auf der Straße oder im Supermarkt begegneten. War es Ablehnung oder Misstrauen? Über Jahrhunderte hatten sich die Makah die Zweideutigkeit ihrer Gesten bewahrt, sodass ein Fremder nie wirklich wusste, woran er war.
Die junge, schwarzhaarige Kellnerin kam, um ihre Tassen erneut zu füllen. Greg wartete, bis sie wieder gegangen war. Dann fuhr er fort. »Aber irgendwie gefiel es den Spaniern bei uns trotzdem nicht. Vermutlich hatten sie sich das Zusammenleben mit den Ureinwohnern etwas anders vorgestellt, nicht so … unterkühlt. Jedenfalls verschwanden sie im September desselben Jahres wieder, genauso schnell, wie sie sich in Neah Bay breitgemacht hatten. Bahia de Nunez Gaona geriet bei den Europäern in Vergessenheit. Was sie zurückließen, waren Werkzeuge, die meine Vorfahren gut gebrauchen konnten, Krankheiten, die unser Volk erheblich dezimierten, und die Tatsache, dass bis heute hin und wieder ein hellhaariges Kind unter uns geboren wird, obwohl beide Eltern Makah sind.«
Hanna trank von ihrem Kaffee. »Danke für den Geschichtsunterricht«, sagte sie und fragte sich, wo das Frühstück blieb. Ihr Magen rumorte.
»Soll ich weitermachen?«
»Mit den bösen Missionaren?«
»Zum Beispiel. Missionare, Regierungsbeamte, Ethnologen, Hippies, Archäologen, indianerbesessene Deutsche … für unser Volk ist das Leben immer hart gewesen.«
Hanna lachte kopfschüttelnd.
»Dass wir Ureinwohner stets im Einklang mit der Natur gelebt haben, ist ein Mythos der heutigen Zeit, Hanna. Die Leute kommen hierher, weil sie etwas zu finden hoffen, das ihnen längst verloren gegangen ist.«
Rosie brachte das Frühstück und Greg schwieg, bis die füllige blonde Indianerin wieder außer Hörweite war.
»Und ihr habt
Weitere Kostenlose Bücher