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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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bisschen zu sehr um sie. Ich bin vorhin bei deinem Vater gewesen, er ist ziemlich wütend auf dich. Ich kapier es nicht, Greg. Du hast doch gesagt, sie würde verschwinden, wenn sie ihre Sachen wiederhat. Stattdessen quartierst du sie in Gertrudes Strandhaus ein, wo kein Mensch in der Nähe ist.«
    Bill rechnete damit, dass Greg ihn zum Teufel schicken würde, doch der Holzschnitzer kratzte sich nur am Kopf und sagte: »So einfach ist das nicht, okay?«
    Der Sheriff stöhnte auf. »Sie hat es sich anders überlegt, nicht wahr? Sie will nun doch Schmerzensgeld.«
    »Nein, keine Angst, das ist es nicht.« Greg sah Bill an und er schien mit sich zu hadern. Aber dann sagte er: »Hast du einen Augenblick Zeit? Ich glaube, ich muss dir etwas erzählen.«
    Es war unerwartet einfach gewesen. Greg hatte mit Hanna einen Teil der gebündelten Zedernrinde zum Allabush-Haus gebracht und sie hatten dort nur Grace vorgefunden. Gertrude war bei einer Frau, die ihr die Haare machte.
    Hanna hatte Grace von ihrem Anliegen erzählt und das Mädchen war sofort bereit gewesen, ihr ein paar Flechttechniken zu zeigen. Eifrig hatte sie ihr die verschiedenen Materialien in den Wasserbottichen erklärt und nun flocht Grace an einem Regenhut, der oben so spitz zulief, dass er wie ein Chinesenhut aussah.
    Im Museum hatte Hanna gelesen, dass diese Regenhüte tatsächlich chinesischen Hüten nachempfunden waren, die man irgendwann nach einem Sturm am Strand gefunden hatte.
    Mit dunkel eingefärbtem Bärgras flocht Grace Muster in den Hut. Als sie merkte, dass Hanna den Hals reckte, deutete sie auf die beiden angefangenen Muster. »Das wird ein Wal und das ein Walfänger in seinem Boot. Der Hut ist für unser Museum, solange das Original für Ausstellungen auf Reisen geht. Solche spitzen Hüte wurden früher nur hier in Neah Bay geflochten. In unserer Sprache heißen sie Tsikwa-puch. Die Männer trugen sie, wenn sie auf Waljagd gingen. Wir Makah und die Nuu-cha-nulth von Vancouver Island waren die Einzigen an der Küste, die es verstanden, den Wal zu jagen«, erklärte Grace stolz.
    Hanna betrachtete das Mädchen eindringlich. »Jim kam von Vancouver Island, nicht wahr?«
    Überrascht hob Grace den Kopf und ihre Augen verengten sich, als würde sie sich fragen, worauf Hanna hinauswollte.
    »Hör zu«, sagte Hanna, »ich weiß, dass es deiner Granny vermutlich nicht gefällt, wenn wir über Jim reden. Aber sie ist nicht hier und du erinnerst dich doch bestimmt an ihn.«
    Das Mädchen antwortete nicht und arbeitete weiter. Hanna wollte sich schon damit abfinden, dass sie nichts von Grace erfahren würde, doch schließlich unterbrach die junge Indianerin ihre Arbeit und sah aus dem Fenster.
    »Ich war noch ziemlich klein, aber ich weiß, dass Jim ein guter Mensch ist. Wenn etwas an Grannys Haus zu reparieren war, hat er es getan. Er hat uns zum Arzt in die Stadt gefahren, wenn es notwendig war. Und er hat uns immer mit Flechtmaterial für unsere Körbe versorgt. Wenn er von seinen Reisen zurückkehrte, hat er mir jedes Mal ein kleines Geschenk mitgebracht.« Grace wandte den Kopf und sah Hanna an. »Ich vermisse ihn.«
    Überrascht von der tiefen Traurigkeit in den Augen des Mädchens, schluckte Hanna.
    Da wären wir nun schon drei.
    Ein weiteres Mal sah sie sich einem Menschen gegenüber, dem Jim nahegestanden hatte, von dem er ihr jedoch nie etwas erzählt hatte. Einen Augenblick lang fragte sie sich, ob Jim nicht vielleicht der Vater von Grace war. Das war gar nicht so abwegig. Sie ähnelte ihm sogar ein wenig. Vielleicht ist das Jims Geheimnis. Möglicherweise verboten irgendwelche uralten Tabus, dass er und Grace’ Mutter ein Kind haben durften. Also hatten sie es geheim gehalten. Das würde auch Gertrudes Haltung erklären. Mit Sicherheit wusste die alte Indianerin mehr, als sie zugab.
    »Ich vermisse ihn auch«, sagte sie.
    Grace nickte. »Nehmen Sie es Granny nicht krumm, dass sie so griesgrämig ist. Sie traut den Weißen nicht.«
    »Und was ist mit dir?«
    Grace zuckte mit den Achseln. »Auf jeden Fall gehöre ich nicht zu den Leuten in Neah Bay, die am liebsten die alten Zeiten zurückholen möchten, in denen es noch keine Weißen gab. Dabei vergessen sie nämlich, dass sich in unserer Vergangenheit auch ein paar Dinge abgespielt haben, an die man sich lieber nicht erinnern sollte.«
    Der leichte Groll in Grace’ Stimme ließ Hanna aufhorchen. »Und das wäre?«, fragte sie.
    Zuerst druckste Grace ein wenig herum, als wäre sie sich nicht

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