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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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sicher, ob sie mit einer Fremden darüber reden sollte. Aber dann sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus. »Na, zum Beispiel die Sache mit den Sklaven.« Während Grace mit flinken Fingern an ihrem Walfängerhut flocht, erzählte sie Hanna, dass die Makah früher Kriegsgefangene als Sklaven hielten, die für ihre Herren schuften mussten.
    »Zwar wohnten sie im selben Haus mit ihren Besitzern«, sagte Grace, »sie hatten jedoch keinen Anspruch auf ein eigenes Leben. Manchmal kam es sogar vor, dass ein Häuptling seine Sklaven tötete, nur um seine Macht zu demonstrieren. Damals wäre niemand auf die Idee gekommen, dass es etwas Verwerfliches oder Barbarisches war, was er da tat.«
    Hanna erinnerte sich an den steinernen Sklaventöter aus dem Museum und ein kalter Schauer rann über ihren Rücken.
    Das Mädchen sah von seiner Arbeit auf. Ein unerklärlicher Zorn beschattete ihr hübsches Gesicht, als sie sagte: »Jeder Makah in Neah Bay weiß, wer von Sklaven abstammt und wer von Häuptlingen. Die Alten haben es ihren Kindern erzählt und die geben es an ihre Kinder weiter. Es gibt Väter, die streng darauf achten, dass ihre Tochter oder ihr Sohn ja keinen Nachfahren eines ehemaligen Sklaven heiratet, denn das wäre eine furchtbare Ehrenkränkung.«
    Hanna versteckte ihre Ungläubigkeit hinter einem kurzen Lachen, aber Grace lachte nicht.
    »Ist das wirklich wahr?«
    »Fragen Sie doch Greg«, sagte das Mädchen. »Er soll Annie Waata heiraten, alle warten darauf. Die Ahousats sind eine angesehene Familie, alle männlichen Vorfahren waren bekannte Holzschnitzer. Er ist eine gute und vor allem sichere Partie.«
    In diesem Moment wurde Hanna klar, dass sie nicht einmal einen Bruchteil von dem verstand, was in Greg Ahousat vorging. Was ihn zwang, so zu handeln und nicht anders.
    Sie blickte Grace an und sah, dass das Mädchen sie beobachtete. Vielleicht wusste sie ja doch mehr, als Hanna angenommen hatte. Sie straffte ihren Rücken, hatte zu lange zusammengesunken dagesessen.
    »Na ja«, sagte sie, »ich glaube, Annie ist auch eine gute Partie. Sie ist sehr schön.«
    Grace zuckte mit den Achseln. »Das mag schon sein«, gab sie zu. »Aber sie ist auch ein bisschen merkwürdig. Vielleicht ist sie genauso verrückt wie ihre Tante Flora.«
    »Was ist denn mit dieser Tante?«, fragte Hanna neugierig.
    »Man erzählt sich, Flora sei von bösen Geistern besessen. Sie soll in einem Baum wohnen.«
    »In einem Baum?«, fragte Hanna.
    Grace warf einen nervösen Blick zur Tür und senkte die Stimme, als sie sagte: »Sie sollten sich vor ihr in Acht nehmen.«
    Hanna zog sich der Magen zusammen. »Wieso das denn?«
    »Die Leute sagen, Flora ist Tsonoqa, die Wilde Frau aus dem Wald. Sie neigt dazu, anderen Schaden zuzufügen. Sie …«
    Die Tür ging auf und Grace verstummte schlagartig. Augenblicklich war das Mädchen wieder in seine Flechtarbeit vertieft. Hanna sah sich dem bohrenden Blick von Gertrude Allabush ausgesetzt und war ungeheuer erleichtert, als hinter dem grauen, dauergewellten Schopf der alten Indianerin die hochgewachsene Gestalt von Greg Ahousat auftauchte.
    Hanna hatte Greg gebeten, vor dem Supermarkt zu halten, damit sie noch ein paar Lebensmittel einkaufen konnte. Während sie ihren Einkaufswagen durch die Regalreihen schob, erstand Greg zwei Lachse, die frisch aus der stammeseigenen Zuchtanlage geliefert worden waren.
    Als sie Washburnes verließen, brach die Sonne durch die Wolken und es wurde sofort warm. Er merkte, dass Hanna etwas beschäftigte, aber es war nicht seine Art, jemanden mit Fragen zu bedrängen. Wenn es so weit war, würde sie schon selbst damit herausrücken, da war er sich sicher.
    Greg hielt bei Ida Parker und kaufte selbst gebackenes Brot. Anschließend fuhr er Hanna zum Strandhaus und half ihr, das Eingekaufte und ihre Tasche in die Hütte zu tragen.
    Hanna redete kaum, was untypisch für sie war, und so machte sich schnell Verlegenheit breit.
    »Das Wetter ist schön«, sagte er. »Ich könnte ein Feuer am Strand machen und die Lachse grillen. Aber ich verstehe auch, wenn du allein sein willst. Es war ein … nun ja, ein harter Tag für dich.«
    Endlich erschien ein Lächeln auf Hannas Gesicht und die kleinen Sonnen in ihren Augen leuchteten auf. »Feuer am Strand klingt gut«, sagte sie.
    Greg holte die Lachse aus dem Truck. Er nahm sie in der Spüle aus, befreite sie von Kopf, Schwanz und Rückgrat und halbierte sie. Zuletzt würzte er sie mit Salz und frischen Kräutern.
    Als Hanna ihn

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