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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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hergekommen?«
    »Ich bin gelaufen.«
    »Warte einen Augenblick«, sagte Hanna, »ich fahre dich zurück.«
    »Das müssen Sie nicht.«
    »Ich weiß. Aber ich möchte es gerne. Ich bin froh, dass du gekommen bist.« Hanna holte ihren Autoschlüssel und fuhr Grace Allabush nach Neah Bay zurück, direkt vor das Haus ihrer Urgroßmutter. Und auf der Rückfahrt konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, in Neah Bay eine Freundin gefunden zu haben. Auch wenn das Mädchen erst fünfzehn war: Grace Allabush hatte eine alte Seele.
    Als Greg wenig später ins Strandhaus zurückkehrte, erzählte Hanna ihm von Grace’ Besuch und dem, was sie von Jim erzählt hatte. Er schien nicht sehr überrascht zu sein.
    »Ich glaube auch, dass Jim noch mal hier war, in Neah Bay«, sagte er.
    Hanna starrte ihn entgeistert an. »Und das sagst du mir jetzt? Dann muss ihn doch irgendjemand gesehen haben.«
    »Grace hat ihn gesehen«, erwiderte Greg schlicht. »Reicht das nicht?«

17. Kapitel
    Als glühender Feuerball versank die Sonne im Pazifik. Es schien, als hätte sie den Horizont in Flammen gesetzt. Die Gäste des Potlatchs unterbrachen ihre Gespräche, ihre Spiele und das Essen für einen Augenblick, um dem Schauspiel Respekt zu zollen.
    Die Makah dankten dem Schöpfer für den Reichtum des Meeres. Sie selbst nannten sich Kwih-dich-chuh-ahtx, Leute, die bei den Felsen und Seemöwen leben. Nachbarstämme hatten ihnen den Namen Makah gegeben, was so viel bedeutete wie Die großzügig Nahrung vergeben – und dieser Name war ihnen erhalten geblieben.
    Fünf Feuer brannten am versteckten Strand von Neah Bay, der sich, links vom alten Hafen, noch ein Stück hinter dem schmalen Landweg zur Insel Waadah erstreckte. Um die Feuer hatten sich Menschen versammelt, die Geschichten erzählten, spielten und miteinander lachten. Rund hundert Menschen bevölkerten an diesem Abend den Strand.
    Einige von ihnen waren Gäste aus La Push, Tahola oder anderen Nachbarreservaten. Shobid Waata war ein angesehener und wohlhabender Mann. Er konnte es sich leisten, so viele Menschen zu verköstigen und zu beschenken, um den Geburtstag seiner ältesten Tochter würdig zu begehen, an dem sie unter Zeugen die Privilegien ihrer Familie übertragen bekommen sollte.
    Dennoch würde Annies Vater nicht bekommen, was er von diesem Abend erhofft hatte. Greg Ahousat, der Holzschnitzer, war zwar da, aber er war mit einer weißen Frau an seiner Seite erschienen. Das war eine Beleidigung. Doch Shobid Waata musste Herr der Situation bleiben. Er hoffte, dass seine Tochter Annie nicht so tief gekränkt war, dass sie von ihm Rache für diese Schmach verlangte, denn dafür war er zu alt. Er wollte nur seine Töchter in guten Händen wissen und Freude an den Enkelkindern haben. Annie sollte es nicht so gehen wie Flora, der Schwester seiner Frau, die nie geheiratet hatte. Flora war einmal schön gewesen. Es gab Fotos aus ihrer Jugendzeit, auf denen sie Annie auf verblüffende Weise ähnelte. Aber jetzt ging Flora auf die fünfzig zu und wurde immer wunderlicher. Dieses Schicksal wollte der Alte seiner Tochter ersparen. Deshalb das Fest. Shobid Waata betrachtete Annie in ihrer Festkleidung und fand sie wunderschön. Es war dem Alten ein Rätsel, warum der junge Holzschnitzer sie nicht haben wollte.
    Hanna folgte Greg über den bevölkerten Strand. Sie registrierte die befremdeten Blicke der Anwesenden und fragte sich, ob es richtig gewesen war, mit ihm hierherzukommen. Doch der Gedanke, allein im Strandhaus zu sitzen und auf Geräusche zu lauschen, behagte ihr noch weniger. Außerdem konnte sie sich der Faszination, die das Fest schon jetzt auf sie ausübte, nicht erwehren.
    Sie entdeckte Grace an einem Feuer, an dem gespielt wurde, und ging zu ihr hinüber, um sie zu begrüßen.
    »Was spielen sie da?«, fragte Hanna das Mädchen, nachdem sie den Männern und Frauen eine Weile dabei zugesehen hatte, wie sie geschickt mit zwei Stöcken hantierten. Der Effekt war johlendes Geschrei, kleine Trommelwirbel und Gelächter unter den Beobachtern.
    »Es nennt sich Slahal, Knochenspiel. Die beiden Stäbe, die Sie sehen, sind Knochen. Einer davon hat eine Markierung. Vor den Augen der gegnerischen Mannschaft werden sie so geschickt ausgetauscht, dass niemand mehr weiß, in welcher Hand der markierte Knochen ist. Wenn sie es erraten, gewinnen sie.«
    Hanna nickte. Sie sah sich um. »Hast du deinen Freund nicht mitgebracht?«, fragte sie.
    Grace schüttelte den Kopf. Ein Schatten huschte über

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