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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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wurde nicht mehr nur uferlos verschenkt, sondern auch zerstört. Mit der Zerstörung von Besitz konnten die Ranghohen ihren Reichtum am besten zur Schau stellen. Mühsam hergestellte Boote wurden zertrümmert und verbrannt. Man kippte wertvolles Öl ins Feuer, zerriss Kleider und Decken und tötete sogar Sklaven, wie sie von Grace erfahren hatte.
    Hanna versicherte sich, dass niemand in ihrer Nähe war, bevor sie sagte: »Tradition hieß aber auch, dass bei Potlatches Sklaven getötet wurden. Würdest du dieses Gebaren nicht als rückständig bezeichnen?«
    Greg hob die Schultern und erwiderte: »Solche Rituale wirken immer beängstigend, wenn man sie aus dem Zusammenhang reißt. Die Europäer, die unseren Festen beiwohnten, waren Außenstehende, die einen Blick in eine für sie fremde Welt erhaschten. Sie haben nicht verstanden, was vor sich ging, und waren entsetzt über unsere Feierlichkeiten. Aber damals brach unsere soziale Ordnung bereits auseinander. Die verschiedenen Welten sind sich zwar begegnet, doch berührt haben sie sich nicht.«
    Greg wich einem Haufen Seetang aus und kickte mit dem Fuß einen Pappbecher zur Seite. »Fast siebzig Jahre lang waren Potlatches von der Regierung verboten – bis 1951. Sämtliche Tanzmasken und rituellen Utensilien wurden beschlagnahmt, sie landeten in Museen und privaten Sammlungen und wir standen mit leeren Händen da.«
    Hanna registrierte den Seitenhieb und sie bereute, dass das Gespräch diese Wendung genommen hatte. Sie waren sich nähergekommen in den letzten beiden Tagen und auch an diesem Abend hatte alles ganz vielversprechend begonnen. Greg war kaum von ihrer Seite gewichen und doch war der Abstand zwischen ihnen nun ganz deutlich spürbar.
    Sie fühlte ihre Enttäuschung über seinen spröden Tonfall und ließ entmutigt die Schultern hängen.
    »Tut mir leid«, sagte Greg schließlich, »aber es macht mich wütend, wenn unsere Vorfahren als Barbaren hingestellt werden. Die Potlatchfeste von damals hatten eine tiefere Bedeutung, die heute niemand mehr sehen will.«
    »Erklär sie mir«, erwiderte sie schlicht. Inzwischen hatte sich die Dunkelheit wie eine schützende Decke über den Strand gelegt und über den Feuern stoben Funken in die Nacht.
    »Es ging um die Geringschätzung von materiellen Werten«, sagte Greg und blieb stehen. »Auf dem Potlatch entledigte man sich bewusst des Trügerischen und Vergänglichen. Haben, geben, zerstören. Und nicht: kaufen und verkaufen.«
    »Und die Sklaven?«, fragte Hanna. »Sie waren Menschen.«
    »Ohne Blut gibt es kein wahres Opfer und nur ein echtes Opfer war ein wirkliches Geschenk«, sagte Greg voller Sarkasmus.
    Hanna schnappte nach Luft und trat einen Schritt zurück. »Greg, deine Vorfahren töteten ihre Sklaven, nur um zu beweisen, wie wohlhabend sie waren.«
    Er nahm sie fest bei der Schulter. »Ja, verdammt, vielleicht ist es vorgekommen, dass an diesem Strand Sklaven getötet wurden. Aber es ist falsch, wenn du sagst: Deine Vorfahren töteten ihre Sklaven … Verstehst du das nicht? Es kam nämlich auch vor, dass ein Häuptling getötet wurde, weil er nicht ausreichend für seine Leute sorgte.« Er ließ Hanna los und lief weiter.
    »In Europa habt ihr Frauen als Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannt, wo ist da der Unterschied? Menschen zu töten, ist verwerflich, das steht außer Frage. Aber wir müssen akzeptieren, dass diese Dinge zu unserer Vergangenheit gehören.«
    Ein eisiger Schauer rann über Hannas Rücken, während sie Gregs Worten lauschte. Sie sah auf. Mittlerweile versammelten sich immer mehr Tänzer in eindrucksvollen Kostümen und wilden Masken um das größte Feuer am Strand und ihr wurde wieder bewusst, wie vieles aus vergangenen Zeiten noch in diesen Menschen lebendig war. Unwillkürlich fragte sie sich, was zu tun sie bereit waren, um an ihren Traditionen festzuhalten.
    Fröstelnd zog Hanna ihre Jacke vor der Brust zusammen und sah sich um. Die Trommeln, bisher nur verhalten angeschlagen, wurden lauter. Mit ihnen schwoll auch ein Gesang an, der so feierlich war, dass sich die Ehrfurcht wie ein eiserner Ring um Hannas Brust legte.
    Sie blieb stumm und Greg schien das als Eingeständnis zu werten. »Na komm«, sagte er versöhnlich, »wir sind nicht hergekommen, um zu streiten. Lassen wir uns die Tänze nicht entgehen.«
    Ein loderndes Feuer schickte Funken empor, winzige Lichtpunkte, die in die Dunkelheit schossen. Vier Männer schlugen auf Handtrommeln, zwei hatten Rasseln in den Händen.

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