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Rain Song

Rain Song

Titel: Rain Song Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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ihr Gesicht. »Er ist nicht eingeladen.«
    »Oh, verstehe.«
    »Ich muss jetzt zurück zu Granny«, sagte das Mädchen. »Einen schönen Abend noch euch beiden.«
    Die Makah spielten Slahal mit Begeisterung, so lange das sterbende Licht des Tages es ihnen erlaubte. Die Zuschauer begleiteten das Spiel mit Liedern in der alten Sprache. Erstaunt registrierte Hanna, wie viele der Anwesenden, auch viele der Jüngeren, die alte Sprache zu beherrschen schienen. Greg erklärte ihr, dass sie seit einigen Jahren wieder Teil des Schulunterrichts war.
    Zu zweit schlenderten sie an verschiedenen Grüppchen vorbei und Hanna fragte sich, was in Greg vorging, wenn die fragenden Blicke der Menschen zwischen ihm und ihr hin- und hergingen.
    Sie sah Annie umringt von Menschen, die vermutlich ihre Familie waren, und merkte, dass Greg es vermied, zu sehr in ihre Nähe zu kommen.
    Der Rauch der Feuer zog über den Strand und von allen Seiten duftete es nach köstlichen Speisen: geröstetem Fleisch und geräuchertem Fisch, gebackenen Kartoffeln, Muscheln, frischem Brot und süßen Nachspeisen. Eine Menge Leute musste an der Vorbereitung des Festes beteiligt gewesen sein.
    Hanna kostete von allem, was Greg ihr auf einem Pappteller brachte. In seiner Linken hielt er einen Plastikbecher mit einer dunklen Flüssigkeit, in die er seine Kartoffeln, sein Brot und den geräucherten Fisch tauchte.
    »Was ist das?«, fragte sie.
    Er hielt ihr den Becher hin. »Robbenöl. Sehr gesund.«
    Hanna schnupperte daran und rümpfte die Nase. »Puh, widerlich.«
    Greg lachte. »Na komm, du musst es probieren«, neckte er sie.
    Sie tunkte ein kleines Stück von ihrem Pizzabrot hinein und biss es ab. Das Öl schmeckte tranig. Hanna schluckte den Bissen schnell hinunter und schob trockenes Brot nach. Greg amüsierte sich über ihr Gesicht.
    Wenig später setzten sie sich an ein Feuer, um das sich ein paar Kinder und Jugendliche geschart hatten. Die jungen Leute lauschten den Geschichten einer alten Frau, die Selma Irving hieß. Ihre Augen leuchteten im Feuerschein.
    Sie erzählte von der kanadischen Missionarin Helen Clark, die 1898 als junge Frau nach Neah Bay kam und fünfundzwanzig Jahre geblieben war. Selma erzählte, dass Miss Clark lange Kleider und immer einen Hut mit einer Pfauenfeder getragen hatte.
    »Eines Tages sagte die Missionarin zu einer Gruppe von älteren Makah: ›Ihr Indianer solltet endlich eure Masken und eure Federn verschwinden lassen.‹ Wash Irving, mein Großvater, ein Mann, der sein Herz auf der Zunge trug, erwiderte: ›Liebe Miss Clark, sobald Sie Ihre Federn verschwinden lassen, werde ich auch meine verschwinden lassen.‹«
    Die Kinder lachten und auch Hanna konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Greg kannte die Geschichte natürlich schon. Er beugte sich an Hannas Ohr und flüsterte: »Miss Clark ließ die Presbyterianerkirche in Neah Bay bauen. Ihre Abhandlungen über die reformierte Kirche wurden sogar in unsere Sprache übersetzt.«
    Er nahm Hannas Pappteller und warf ihn zusammen mit seinem ins Feuer. Sie verließen die Feuerstelle und liefen in Richtung Wasserlinie.
    »Gehen eigentlich viele Makah in die Kirche?«, fragte Hanna.
    »Ja, ein großer Teil der Leute geht brav in die Kirche«, antwortete Greg mit gedämpfter Stimme. »Aber wie du siehst, hindert sie das nicht daran, ein Potlatch zu feiern und durch die alten Lieder und Tänze die Verbindung zu den Geistern zu wahren. Die eifrigen Missionare, so amüsant die Geschichten über sie auch sein mögen, haben natürlich Spuren hinterlassen. Sie – und später die weißen Lehrer – wollten uns eintrichtern, dass unsere Traditionen schlecht waren und unsere Bräuche rückständig.«
    Die Sonne hatte einen hellen Schein am Horizont hinterlassen und jetzt, wo sie verschwunden war, wurde es merklich kühler.
    Ihr habt Sklaven gehalten, dachte Hanna. Sie fröstelte und zog ihre Fleecejacke an, die sie sich um die Hüften gebunden hatte. Sie wusste nicht viel über die Potlatchs der Nordwestküstenindianer, nur, dass diese Schenkungsfeste ursprünglich den sozialen Status einzelner, hochgestellter Personen untermauern sollten. Immer dann, wenn jemand ein Vorrecht beanspruchte oder dieses Vorrecht noch einmal besonders bekräftigen wollte, wurde ein Potlatch abgehalten. Wertvolle Dinge wurden verschenkt, man überbot sich regelrecht, um den Gegner zu beschämen.
    Später, als die Weißen ins Land kamen und Handel mit den Küstenstämmen betrieben, änderte sich alles. Es

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