Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
verändert, seit er Tintaglia begegnet ist. Ich denke, dass die Berührung mit der Drachin die Veränderungen ausgelöst hat. Alle drei sind gewachsen. Malta ist mittlerweile bemerkenswert groß für eine Frau aus meiner Familie. Und sie ist schöner, aber auf eine Art, die nichts mit menschlicher Schönheit zu tun hat. Wenn sie ohne Mantel und Schleier einhergeht, erinnert sie mich an eine edelsteinbesetzte Statue, die zum Leben erwacht ist. Tintaglia hat mir erzählt, dass Elderlinge viel älter werden können als normale Menschen. Trotz alledem ist Malta noch immer Malta.« Das hörte sich fast so an, als bedaure Althea dies. Etwas leiser fügte sie hinzu: »Und ich glaube, sie und Reyn würden all den Ruhm als Elderlinge hergeben im Tausch gegen ein gesundes Kind.«
»Aber die Drachen«, unterbrach Sedric sie drängend. »Sind sie tatsächlich derart missgestaltet und geisteskrank? Kann es sein, dass wir diese Reise völlig umsonst unternommen haben?«
Alise war gleich auf zweierlei Weise verärgert. Zum einen, weil er Altheas Enthüllungen über die einzigen lebenden Elderlinge unterbrochen hatte. Zum anderen, weil in seiner Stimme Hoffnung mitschwang, dass ihre Reise erfolglos bleiben könnte. Althea faltete die Hände auf dem Tisch und betrachtete ihre rauen, braunen Finger, bevor sie antwortete.
»Sie sind nicht wie Tintaglia«, sagte sie gelassen. »Keiner von ihnen kann fliegen. Zu Beginn haben wir einhundertneunundzwanzig Schlangen auf ihrer Wanderung flussaufwärts begleitet. Weniger als die Hälfte von ihnen vermochte sich einzuspinnen und am Ende zu schlüpfen. Und jetzt sind gerade noch wie viele übrig? Als ich das letzte Mal von ihnen gehört habe, waren es weniger als siebzehn.« Sie sah auf und begegnete Alises verzweifeltem Blick. Kurz flackerte Mitleid in ihren Augen auf. »Ich wünschte, es wäre anders gekommen, und wenn es nur um Paragons willen gewesen wäre. Für ihn war es ungeheuer wichtig, dass die Schlangen die Reifegründe erreichten. Denn trotz dem, was er Euch gesagt hat, schlägt in ihm das Herz eines Drachen. Er sehnte sich danach, seine Artgenossen wieder am Himmel zu sehen. Es hätte auch seinem eigenen Schicksal eine Bedeutung verliehen
Doch die Geschöpfe, die ich sah, als ich Cassarick besuchte, waren erbarmungswürdige, missgestaltete Wesen. Dass Tintaglia sie anscheinend im Stich gelassen hat, spricht Bände. Denn Drachen haben kein Mitleid mit den Schwachen, sondern überlassen sie ihrem Schicksal. Auch Regenwildleute, die in der Nähe wohnen, verlieren schnell jegliche Zuneigung für die Kreaturen. Sie sind widerspenstig und gefährlich, intelligent, aber nicht vernünftig. Vielleicht ist Unvernunft die einzig vernünftige Reaktion auf ein derart armseliges Leben. Den Menschen bringen sie weder Respekt noch Dankbarkeit entgegen. Bisher haben sie noch keine Menschen angegriffen, aber ich habe Gerüchte darüber gehört, dass sie welche gejagt haben. Und mindestens einen Leichnam haben sie noch während seiner Bestattung verschlungen. Ich kann mir nicht vorstellen, was aus ihnen werden soll, außer dass sie weiter verelenden und sterben.« Sie hielt inne, seufzte und fuhr dann fort: »Ich vermute, Paragon sieht in ihnen keine Drachen mehr, weil das weniger schmerzhaft für ihn ist. Er kann nichts tun, um ihnen zu helfen. Indem er sich innerlich von ihnen distanziert, verringert er die Scham, die er ihretwegen empfindet. Ich glaube nicht, dass irgendeiner von uns etwas für sie tun kann.«
Drei Atemzüge lang saß Alise regungslos und schweigend da. Dann sagte sie leise: »In Bingtown hat man von alledem kaum etwas erfahren.«
Althea lächelte, ein Lächeln von Handelsfrau zu Handelsfrau, die nun ein Geheimnis teilten. Dann goss sie duftenden Tee in die Tassen. Kapitän Trell kam wieder an den Tisch, um seine Tasse entgegenzunehmen, ging daraufhin aber sogleich wieder an seinen Posten beim Fenster zurück und beobachtete den Fluss. »Unsere Regenwildbrüder haben ihre Angelegenheiten stets für sich behalten. Und über Generationen hat man den gebürtigen Einwohnern Bingtowns anerzogen, nicht über sie zu reden. Mir erscheint es noch immer seltsam, dass die Welt über ihre Existenz Bescheid weiß und ihre Städte besuchen will. Denn lange Zeit haben wir sie geheim gehalten, um sie zu schützen.«
Alise sah Althea geradewegs ins Gesicht und war ihr für ihre Direktheit dankbar. »Glaubt Ihr, es wird mir überhaupt möglich sein, mit den Drachen zu sprechen? Und etwas von
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