Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
zurückgeblieben. Nur ein Hemd, das Leftrin in den Fluss geworfen hatte, und einige Rauchkräuter, mit denen er seine eigenen Bestände aufgefüllt hatte. Die Mannschaft hatte nie gefragt, was aus ihm geworden war, und Leftrin hatte es auch nicht zur Sprache gebracht. Die Papiere des Mannes waren in Ordnung gewesen, und den Preis für die Passage hatte er entrichtet. Das war alles, was Leftrin sagen würde, sollte eines Tages jemand nach dem Kaufmann forschen. Bisher hatte das aber niemand getan, und Leftrin hatte gehofft, dieses unglückliche Abenteuer hinter sich gelassen zu haben.
Doch seine Hoffnung war vergebens. Er wünschte sich, er hätte nie von diesem verdammten chalcedanischen Kaufmann gehört. Er wünschte sich, er hätte ihn vor einem Jahr über Bord geworfen. Seit er ihn zum letzten Mal gesehen hatte, verfolgte ihn Sinad Arich in seinen Albträumen. Nach all den Monaten hatte Leftrin geglaubt, ihn nie wiederzusehen, und gehofft, dass der Kaufmann ihn nur dieses eine Mal benötigt hatte und ihn danach in Ruhe lassen würde.
Doch so kam es, wenn man mit Chalced oder einem Chalcedaner Geschäfte machte. Sobald sie jemandes Schwäche kannten, um einen geheimen wunden Punkt wussten, dann gruben sie ihren Dolch hinein und nutzten denjenigen aus, bis er dabei ums Leben kam oder sich wehrte und zurückschlug. Leftrin knirschte mit den Zähnen. Noch vor wenigen Augenblicken war er glücklich wie ein Kind gewesen, weil er mit einer solch spannenden Person flussaufwärts reisen würde. Und jetzt fragte er sich, wer sich der Reise sonst noch anschließen würde und wie unerbittlich die Chalcedaner mit ihren Drohungen sein würden. Auch bangte er, ob er auf dieser Reise jemanden würde umbringen müssen. Und wenn ja, wie würde er es bewerkstelligen? Und würde er es vor Alise geheim halten können?
Der Gedanke machte ihn traurig. Er nahm an, dass sie nichts mit ihm zu tun haben wollte, wenn sie auch nur die Hälfte all der Dinge erfahren würde, die er getan hatte. Es war äußerst unerfreulich, dass er einen Teil seiner Selbst vor ihr verbergen musste, um sich weiterhin ihrer Gesellschaft erfreuen zu können. Aber er würde es tun. Was immer notwendig war, würde er tun, um die knapp bemessene Zeit mit ihr auszukosten. Bei einer solchen Dame hatte er ohnehin schon einen schlechten Stand. Er, ein Flussschiffer der Regenwildnis, der außer einem Kahn nicht viel aufweisen konnte. Sie konnte nicht ahnen, was für ein einzigartiges und wunderbares Schiff Teermann war, und folglich nicht erkennen, welches Vermögen er barg. Er wunderte sich, dass sie ihn überhaupt zu mögen schien. Er war ein schwer arbeitender Mann und würde das vermutlich immer bleiben. Er besaß kein feines Haus, das er ihr hätte vorführen können. Im Vergleich zu ihrem stutzerhaften Begleiter waren seine Kleider bloße Lumpen. Er trug keine Ringe. Bevor sie an Bord seines Kahns aufgetaucht war, hatte er keinerlei Ehrgeiz besessen, etwas anderes zu tun als das, was er immer tat: Frachten den Fluss hinauf und hinunter zu transportieren, damit er seine Mannschaft bezahlen und eine gute Mahlzeit kaufen konnte, wenn ihm sein Zeitplan erlaubte, über Nacht in einer Stadt zu bleiben. Er hätte ein Vermögen machen können, wenn er das Hexenholz verkauft hätte. Dann wäre er jetzt ein reicher Mann mit einem prunkvollen Palast in Jamaillia oder Chalced. Doch die Entscheidung, die er getroffen hatte, bereute er nicht. Das war das einzig Richtige gewesen.
Und doch fragte er sich nun, ob ihm dieses Leben wirklich immer genügen würde. Vergeblich wünschte er sich, dass er die Begegnung mit einer solchen Frau vorausgesehen hätte. Denn dann hätte er sich vielleicht beizeiten um die Art von Wohlstand gekümmert, mit der man sie hätte beeindrucken können. Doch was hätte er sich schon leisten können im Vergleich zu dem, was ihr reicher Gatte in Bingtown ihr zu bieten hatte?
Er sah erneut auf die kleine Schriftrolle. Hätte er den chalcedanischen Kaufmann töten und über Bord werfen sollen, bevor sie Trehaug erreicht hatten? Solche Gedanken kamen ihm nicht leichtfertig. Vor langer Zeit hatte er einmal einen Menschen getötet, der ihn beim Glücksspiel des Betrugs bezichtigt hatte, obwohl er sich nichts zuschulden hatte kommen lassen. Und als der Kerl und seine Kumpane ihm klargemacht hatten, dass sie ihn umbringen würden, bevor sie ihn mit dem Gewinn abziehen ließen, hatte er einen von ihnen bewusstlos geschlagen, den anderen getötet, und vor dem
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