Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
Alise die Drachin etwas fragt, könntest du mir die Antwort übersetzen? Leise und etwas abseits, damit wir das Gespräch nicht stören?«
»Gewiss. Doch Alise … ich meine, die Dame könnte das auch. Oder irgendein anderer Hüter.«
»Damit würde sich Alises Arbeit jedoch verlangsamen. Ich dachte eher daran, dass ich alles aufzeichne, während die Drachin spricht, sofern mir jemand übersetzen würde. Ich kann sehr schnell schreiben. Und vermutlich kann das tatsächlich jeder Hüter machen«, sagte er mit einem Blick zu Tats. »Aber da sie nun einmal deine Drachin ist, wärest du die naheliegende Kandidatin.«
Dass er Himmelspranke als ihre Drachin bezeichnet hatte, gefiel ihr. »Das könnte ich wohl machen.«
»Na schön. Würdest du es denn auch tun?«
»Würde ich was? Dabeistehen, während sie sich unterhalten, und nachplappern, was die Drachin gesagt hat?«
»Genau.« Er zögerte, ihr das Angebot zu machen. »Wenn du magst, bezahle ich dich dafür. Für den Zeitaufwand.«
Die Versuchung war groß, doch ihr Vater hatte sie zur Ehrlichkeit erzogen. »Für meine Zeit hier werde ich bereits bezahlt, und die gehört der Drachin. Ich kann meine Zeit genauso wenig zweimal verkaufen, wie ich eine Pflaume zweimal verkaufen kann. Deshalb kann ich Euer Geld nicht annehmen. Und ich müsste Himmelspranke fragen, ob sie mit Eurer Anwesenheit einverstanden ist. Und damit, dass ich Euch ihre Worte einsage.«
»Gut.« Die Tatsache, dass sie kein Geld von ihm nehmen wollte, schien ihn aus der Fassung zu bringen. »Würdest du sie dann fragen? Dafür stünde ich in deiner Schuld.«
Sie hielt den Kopf schräg. »Vielmehr stünde Alise Finbok in meiner Schuld, würde ich meinen. Schließlich hat sie Euch angestellt, um diese Arbeit für sie zu erledigen. Und wenn ich dafür sorge, dass Ihr sie erledigen könnt, dann …« Thymara lächelte in sich hinein. »Ja, ich glaube, dass sie diejenige ist, die in meiner Schuld steht.« Sie genoss diese Vorstellung.
»Also wirst du die Drachin fragen, ob ich dabei sein darf und ob du mir ihre Äußerungen übersetzen kannst?«
Thymara bückte sich und fasste ihren Speer zu beiden Seiten des aufgespießten Fischs. Als sie die schwere Beute hob, ächzte sie leise. Mit einem Nicken erwiderte sie: »Dann fragen wir sie am besten gleich. Ich glaube, ich habe hier etwas, was sie in eine huldvolle Stimmung versetzen wird.«
Sechster Tag des Kornmonds
Sechster Tag des Kornmonds
IM SECHSTEN JAHR DES UNABHÄNGIGEN HÄNDLERBUNDS
Kim an Detozi
Ich fürchte, Ihr missversteht eine arglose Erinnerung an die Vorschriften als eine persönliche Beleidigung. Detozi, wir beide kennen uns doch gut genug, dass Ihr wissen müsstet, dass ich, indem ich Euch an die Vorschriften bezüglich persönlicher Mitteilungen gemahnte, nur getan habe, was meine Position mir auferlegt. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die mit derlei Kinkerlitzchen gleich zum Konzil rennen. Mit der Erinnerung an die Satzungen gedachte ich lediglich, Euch vor Scherereien zu bewahren für den Fall, dass dies einem kleinlicheren Charakter zur Kenntnis gelangen sollte, der derlei Dinge strenger ahndet. Nichts anderes lag mir im Sinn. Bei Sas Gnade, ich bin erschüttert darüber, wie empfindlich Ihr dies aufgefasst habt! Um unserer Freundschaft willen möchte ich die unbegründeten Anschuldigungen und wüsten Unterstellungen Eures letzten Briefes nicht weiter zur Kenntnis nehmen.
Kim
13 · Verdächtigungen
13
Verdächtigungen
N och vor der Morgendämmerung wachte er auf, eingehüllt und gewiegt von einem warmen Gefühl der Zufriedenheit. Das Leben war gut zu ihm. Einige Augenblicke lag Leftrin regungslos im Dunkeln und genoss dieses Gefühl, bevor er anfing, im Kopf die Pflichten des Tages durchzugehen. Dies waren die ruhigsten Stunden auf Teermann , der auf die Sandbank gezogen worden war. Manchmal hatte Leftrin den Eindruck, der Kahn wurde nachdenklich, wenn man ihn ans Flussufer zog, als träume er von anderen Zeiten. Er hörte und spürte die Strömung des Seitenarms, die leicht am Heck des Schiffes zerrte, doch ansonsten war es ruhig. Ruhiger, als wenn sie auf dem Fluss ankerten. Als würde Teermann auf der Sandbank ein Nickerchen einlegen.
Leftrins Bettzeug verströmte einen süßen Duft – es roch nach dem Parfüm, das Alise Finbok auftrug, aber auch nach ihr selbst. Er vergrub das Gesicht im Kissen und inhalierte den Geruch. Dann grinste er über seine eigene Narrheit. Er war verliebt wie ein bartloser Knabe, der
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