Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
feuerrote Ranculos folgte ihm dichtauf.
»Mercor!«, rief sie abermals, und obwohl er nicht darauf einging, fragte sie: »Was weißt du noch über die Elderlinge, die uns begrüßten, wenn wir nach Kelsingra kamen? Ich erinnere mich, dass wir drei Kreise über der Stadt gezogen haben, um unsere Ankunft zu verkünden …«
»Ich erinnere mich, dass sie von den Stadttürmen Trompeten geblasen haben, wenn sie uns erblickten. Trompeten aus Silber und Hörner aus Messing, mit denen sie die Fischer aufriefen, die tieferen Bereiche des Flusses zu räumen.« Nicht Mercor sprach, sondern Ranculos. Vor unvermittelter Freude kreisten die silbrigen Augen des Rotdrachens. »Das ist mir eben erst eingefallen, als du von den drei Kreisen über der Stadt erzählt hast.«
»Daran erinnere ich mich!« Auf einmal kam Veras durchs Wasser herangetrabt, um zu ihnen aufzuschließen. Die goldenen Punkte auf ihrem grünen Leib, die so oft von Schlamm verborgen gewesen waren, leuchteten.
»Ich nicht«, gab Sintara leise zu. »Aber ich erinnere mich daran, im Fluss zu landen und so weit abzutauchen, bis es dunkel wurde. Der Grund war sandig. Und dann watete man hinaus ans Ufer. Dort haben uns stets ein paar Elderlinge erwartet.«
Sie zögerte in der Hoffnung, jemand anderes würde das Wort ergreifen. Aber das tat niemand, und Mercor stapfte stoisch weiter.
»Danach kam etwas Angenehmes. Ein spezielles Willkommen …« Sie ließ den Gedanken verebben, um die anderen zum Reden einzuladen. Niemand sagte etwas. Das ewige Rauschen des Flusses und das Platschen und Schnaufen der Drachen, die gegen seine Strömung ankämpften, waren die einzigen Geräusche. Vor ihnen ragte ein weiterer Baumstumpf aus dem Wasser, nicht ganz so groß wie der letzte. Sintara überkam das Gefühl tiefster Entmutigung. Sie war erschöpft.
Plötzlich hob Mercor den Kopf. Seine Nüstern zuckten, und er erstarrte mitten im Schritt. Er sah sich um und suchte die weite Fläche des Flusses zu seiner rechten und den dichten Wald zu seiner linken ab. Dann schnaubte er laut. An seinem Hals stellte sich eine Mähne verstümmelter Giftstacheln auf und hob sich blau-weiß von seinem goldenen Leib ab.
»Was ist?«, fragte Veras. Dann blieb auch sie stehen und sah sich um.
»Ein Flussschwein«, sagte Sestican. »Ich rieche Flussschweinkot.«
Als hätte das Aussprechen des Namens sie beschworen, brachen die Tiere plötzlich aus dem Wasser hervor. Ihre Haut war so grau wie der Fluss, ihre Haare lang und ausladend wie Wurzeln. Sie hatten sich im Schutz des Baumstumpfs zusammengerottet und, von der Flut unbelästigt, die haarigen Rücken in die Sonne gestreckt.
Sintara reagierte völlig unterbewusst. Andere Drachen, deren Identität sich in grauer Vorzeit verlor, trieben sie an. Mit aufgerissenem Kiefer schoss ihr Kopf am langen Hals nach vorn. Sie hatte eines der größeren Tiere in ihrer Reichweite anvisiert. Doch einen Lidschlag, bevor sich ihre Zähne in das Flussschwein gruben, wich das Tier aus, indem es unter Wasser abtauchte. Dennoch sanken ihre Zähne in das Schwein, und sie biss die Kiefer fest zusammen. Allerdings hatte sie es nicht so erwischt, wie sie beabsichtigt hatte. Mit einem gezielten Biss hätte sie ihm die Wirbelsäule gebrochen und es gelähmt. So aber hatte sie nur eine Fettschicht, dicke Haut und Haare im Maul. Ihr wurde beinahe schwindelig von der berauschenden Süße des heißen, frischen Blutes auf ihrer Zunge.
Dann brach das Schwein zwischen ihren Kiefern in einen wilden Todeskampf aus.
Die anderen Drachen um sie her hatten sich ebenfalls über die Schweine hergemacht. Manche setzten den Tieren nach und stießen triumphierende Laute aus, wenn sie ihre Köpfe auf die quiekenden Tiere hinabschnellen ließen. Die rundbauchigen Schweine waren äußerst flink im Wasser, doch in den flacheren Regionen und auf dem mit Treibgut verfilzten Ufer bewegten sie sich deutlich behäbiger. Sintara wurde von Drachen angerempelt, die in ihrer Gier nach Beute an ihr vorbeistürmten. Beinahe wäre sie gestürzt, und im selben Moment rammten sie drei Schweine, die an ihr vorbei in Richtung Flussmitte fliehen wollten.
Doch sie bekam fast nichts davon mit. Noch nie zuvor hatte sie lebende Beute zwischen den Zähnen gehabt. In ihren Ahnenerinnerungen jagte sie vor allem Vieh und andere Landtiere, auf die sie im Sturzflug hinabglitt und die sie zu Boden warf. Dadurch waren die Tiere halb gelähmt, sodass die Drachin zum tödlichen Biss ansetzen konnte. Das Geschöpf in
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