Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
wir tun: Geld verdienen, um es auszugeben. Was ist daran falsch? Warum sollten wir so hart arbeiten, wenn wir uns mit dem, was wir dabei ernten, nicht auch vergnügen?«
Darauf hatte er keine Antwort gewusst.
Hest hatte Sedric von Grund auf erneuert – ihm gesagt, wie er seine Haare kämmen und welche Farben er tragen sollte, welches der beste Schnitt für Jacken wäre und wo er am besten seine Stiefel kaufte. Als Sedrics bescheidene Mittel für Hests Ansprüche nicht mehr genügten, hatte Hest ihm zunächst die nötigen Kleidungsstücke geschenkt. Doch Sedrics Vater war ob dieser Freigebigkeit misstrauisch geworden, und da hatte Hest eine Anstellung für Sedric erfunden, die es zudem mit sich brachte, dass er bei ihm wohnen musste. Hest hatte Sedrics Leben umgekrempelt. Nein, er hatte Sedric selbst verwandelt. Denn dieser hatte nicht nur das Vergnügen eines erlesenen Weines und eines köstlich zubereiteten Stücks Fleisch kennengelernt, sondern hatte bald auch nichts anderes mehr bei Tisch erwartet. Ein schlecht geschnittenes Jackett war untragbar. Und was würde jetzt aus ihm werden? Wenn er bei seiner Rückkunft erfahren müsste, dass Hest ihn ersetzt hatte, was wäre dann? Sedric schloss die Augen und versuchte sich ein Leben ohne Hest vorzustellen. Ein Leben ohne Hests Vermögen und Lebensart, ja, das war denkbar. Aber ein Leben ohne Hests Nähe?
Der Kahn schwankte unruhig in der Strömung. Sedric ließ seine Aufmerksamkeit zum Schiff wandern. Die Mannschaft war mit dem Manövrieren des Kahns beschäftigt. Vielleicht hatten sie Segel gesetzt, falls der Wind günstig stand. Der Kahn selbst und wie er angetrieben wurde, war ihm ein Rätsel. Es schien unmöglich, dass ein Schiff dieser Größe den Fluss hinaufgerudert werden konnte, und doch machten sie stets gute Fahrt.
Und auch er musste sehen, dass er vorankam.
Er würde nicht aufgeben. Er würde sich Alises Dickköpfigkeit als Vorbild nehmen und darauf aufbauen. Sie hatte beschlossen, diese Gelegenheit für sich zu ergreifen und war unerbittlich darin. Nun, das konnte er auch. Sollte Hest sich ruhig wundern, wo sie blieben und warum sie nicht wie geplant zurückkehrten. Diesem Menschen würde es guttun, einmal in seinem Leben Zweifel und Unbehagen zu empfinden. Und Sedric war überzeugt, dass Hests Leben erheblich beschwerlicher werden würde, wenn er keine Gemahlin und keinen Sekretär um sich hatte, die sich um die lästigen Dinge kümmerten, die er zu vermeiden suchte.
Und auch seine eigenen Ziele konnte Sedric auf diese Weise besser verfolgen. Wenn er gezwungen war, die Drachenhüter und ihre Schützlinge zu begleiten, bekäme er Gelegenheit, noch mehr Drachenreliquien zu sammeln. Langsam setzte er sich auf und kauerte sich auf den Boden. Unten an seinem Koffer befand sich eine verborgene Schub lade. Hest hatte sie einbauen lassen, um darin auf Reisen besonders wertvolle Güter und ihre Barschaft zu verstauen. Er hätte sich sicher nie träumen lassen, zu welchem Zweck Sedric das Fach nun benutzte.
Er zog die Lade auf und begutachtete die beiden Glasbehälter, die er heute gefüllt hatte. Im Dämmerlicht konnte er nicht viel erkennen. In der Schublade lagen aber noch andere Behältnisse aus Glas und Porzellan, manche waren leer, andere enthielten Konservierungsflüssigkeiten oder Salz. Vom ersten Augenblick an, als ihm der Gedanke gekommen war, Hests Bestrafung zu seinem Vorteil zu nutzen, hatte er all das akribisch geplant.
Er hatte auch eine übersichtliche Liste verschiedener Proben, die er zu erlangen hoffte, mitsamt Schätzungen ihres Werts. Blut. Zähne. Nägel. Schuppen. Leber. Milz. Herz. Er musste daran denken, wie mulmig ihm gewesen war, als das Mädchen das Fleisch von den Wundrändern geschnitten hatte. An derlei musste er sich gewöhnen. Wenn eine der Kreaturen verletzt wurde oder starb, würde er einen Weg finden müssen, schnell zu ihr zu gelangen. Seine Verbannung würde sich womöglich als die Grundlage seines Vermögens erweisen.
Sorgfältig verstaute er die Proben und schob die Schublade zu. Keine Reue, ermahnte er sich. Keine Reue und kein Zögern.
Sintara war den anderen Drachen zum Fluss gefolgt und watete hinter ihnen her ins Wasser. Mercor führte sie an. Sie wunderte sich, dass ihn alle Drachen als Anführer anzuerkennen schienen, vor allem jedoch, dass es Kalo tat. Hatte der diese Rolle nicht aufgrund seiner Größe noch vor wenigen Stunden selbst beansprucht? Die Begeisterung, die von den Drachen Besitz ergriffen
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