Rain Wild Chronicles 01 - Drachenhüter
herein. Sein Haar war zerzaust, er stand nicht mehr gerade auf den Beinen, und den Kragen hatte er bereits aufgeknöpft. Anscheinend überraschte es ihn, sie wartend beim glimmenden Feuer anzutreffen. Sein Blick glitt an ihr herauf und wieder hinab, und auf einmal schämte sie sich, dass er sie in einem jungfräulich weißen und kostbar verzierten Nachthemd sah. Seine Mundwinkel zuckten, und kurz sah sie seine Zähne hervorblitzen. Dann sah er weg und sagte mit schwerer Zunge: »Na dann, bringen wir es eben hinter uns.«
Er kam nicht zu ihr, sondern ging zum Bett. Währenddessen knüpfte er sich die Kleider auf. Erst fiel sein Jackett auf den weichen Teppich, dann sein Hemd. Vor den letzten vier noch brennenden Kerzen blieb er stehen. Er beugte den Oberkörper hinab und blies sie mit einem einzigen kräftigen Pusten aus. Das Zimmer versank in völliger Dunkelheit. Sein Atem roch nach Alkohol.
Als Nächstes hörte sie, wie das Bett unter seinem Gewicht nachgab. Es gab ein Poltern und gleich darauf ein zweites, als er seine Stiefel auszog. Ein Rascheln sagte ihr, dass auch seine Hose auf dem Boden gelandet war, und als er sich zurückfallen ließ, ächzte das Bett. Erstarrt vor Schreck, in den sich eine Spur Furcht mischte, blieb sie regungslos sitzen. All ihre sinnliche Erregung und ihre dummen, romantischen Träume waren dahin. Mit bitterer Ironie in der Stimme sagte er nach einiger Zeit: »Die Sache wäre für uns beide um einiges einfacher, wenn du auch im Bett wärst.«
Aus irgendeinem Grund erhob sie sich und ging zu ihm, obwohl sie sich fragte, weshalb sie es tat. Es schien unvermeidbar. Und sie fragte sich auch, ob sie wegen ihrer mangelnden Erfahrung vielleicht zu große Erwartungen gehabt hatte. Sie verließ die Wärme des Kamins; der Weg durchs Zimmer fühlte sich an wie ein eisiger Fluss, den es zu durchschwimmen galt. Dann war sie am Bett angelangt. Er hatte nichts weiter gesagt. Im Zimmer war es so dunkel, dass er sie nicht hatte beobachten können. Mit Unbehagen setzte sie sich auf den Rand des Bettes. Nach einiger Zeit erklang Hests schwere Stimme: »Du musst dieses Zeug ausziehen und dich neben mich legen, wenn wir hier irgendetwas erreichen wollen.«
Ihr Nachthemd war auf der Vorderseite mit einem Dutzend Seidenschlaufen geschlossen. Während sie eine nach der anderen öffnete, überkam sie mehr und mehr eine furchtbare Enttäuschung. Was war sie nur für eine Närrin gewesen. Sie hatte mit der verheißungsvollen Vorstellung gespielt, wie seine Finger die Bänder nacheinander lösen würden. Welch törichte Vorfreude hatte sie durchzuckt, als sie dieses Hemd angezogen hatte. Noch vor wenigen Stunden hatte sie sich in diesem prachtvollen Kleidungsstück weiblich und verführerisch gefühlt. Jetzt kam sie sich vor, als habe sie irgendein dämliches Kostüm ausgesucht und eine Rolle angenommen, die sie nicht ausfüllen konnte. Hest hatte das Ganze durchschaut. Eine Frau wie sie hatte kein Recht auf diese seidigen Stoffe und zierlichen Bänder. Es würde hier keine Romantik geben, noch nicht einmal Lust. Denn für ihn war es nichts als Pflichterfüllung. Mit einem Seufzen stand sie auf und ließ das Nachthemd zu Boden fallen. Dann schlug sie die Decke zurück und legte sich auf ihre Seite der Matratze. Sie spürte, wie Hest sich zu ihr herumrollte.
»So«, sagte er, und die Schnapsfahne traf sie direkt ins Gesicht. »So.« Er seufzte, mehr zu sich selbst, um kurz darauf tief Luft zu holen. »Bist du bereit?«
»Ich glaube schon«, brachte sie heraus.
Er bewegte sich und rückte näher. Auch sie rollte sich auf die Seite, ihm zu, und plötzlich fürchtete sie sich vor seiner Berührung. Und dennoch durchlief sie ein warmer Schauer. Sie war von Scham, Angst und Verlangen zugleich erfüllt. Dabei musste sie mit einigem Abscheu an zwei ihrer Freundinnen denken, die unaufhörlich von der Gefahr geschnattert hatten, von chalcedanischen Plünderern vergewaltigt zu werden. Für Alise war es offensichtlich gewesen, dass sie von der Vorstellung gleichermaßen entsetzt wie erregt waren. Damals hatte sie es für eine Dummheit gehalten, Lust und Gewalt zu einer atemberaubenden Fantasie zu vereinen.
Doch nun, als sich Hests Hand auf ihre Hüfte legte, stieß sie unwillkürlich ein leises Keuchen aus. Noch nie zuvor hatte ein Mann ihren nackten Körper berührt. Allein von dem Gedanken bekam sie eine Gänsehaut. Doch dann, als seine Finger stärker zufassten und er sie fester packte, um sie an sich
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