Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer
Teermann in den Teppich aus Treibgut zu steuern. Der Schub des größeren Schiffs und der daraus entstehende Wellenschlag hätten leicht den zerbrechlichen Halt der Treibholzdecke zerstören und die Hüter dadurch ins kalte Wasser stoßen können. Nein. Auch wenn er sich noch so gerne über die trennende Kluft geworfen hätte, blieb er standhaft an Deck seines Kahns und wartete. Als er erkannte, dass Carson mit der ersten Bootsladung Greft, Jerd und Sylve herbeiruderte, murmelte er Verwünschungen.
Trotz seiner Enttäuschung gelang es ihm, sie herzlich an Bord willkommen zu heißen. Die drei Neuankömmlinge sahen etwas lädiert aus, aber die beiden Mädchen umarmten ihn und dankten ihm, dass er nach ihnen gesucht hatte. Er schickte sie in die Küche, wo sie sich mit einer Fischsuppe wärmen sollten. »Ihr braucht erst einmal etwas Essen in eure Mägen, dann fühlt ihr euch wieder ganz neu. Aber ich muss euch einschärfen, behutsam mit dem Frischwasser umzugehen! Teilt euch fürs Erste einen Eimer und ein Tuch. Bevor es nicht regnet oder das Wasser nicht so weit zurückgegangen ist, dass wir einen Sandbrunnen graben können, müssen wir es einteilen. Nun geht schon!«
Die Mädchen verschwanden gehorsam und dankbar in der Kombüse. Derweil beobachtete Leftrin, wie Carson zur Treibgutdecke zurückfuhr, um weitere Passagiere herüberzubringen.
»Kapitän.« Grefts aufdringliche Stimme stellte eine unwillkommene Ablenkung dar.
»Was gibt’s?«, sagte Leftrin, und als ihm auffiel, wie ungeduldig er klang, fügte er hinzu: »Du musst genauso hungrig und müde wie die anderen sein. Warum nimmst du dir nicht einen Teller Suppe?«
»Gleich«, gab Greft schroff zurück. »Erst müssen wir besprechen, wie wir weiter vorgehen. Wir vermissen immer noch drei Hüter und drei Drachen. Wir müssen klären, ob wir die Suche fortsetzen oder abbrechen.«
Leftrin sah den jungen Mann an. »Ich mache es dir einfacher und sage dir, was ich vorhabe, Sohn. Erstens tut es mir leid, dir mitteilen zu müssen, dass nur noch zwei Hüter verschollen sind, denn vor wenigen Stunden haben wir Warkens Leiche im Fluss gefunden. Und zweitens werden wir die Suche noch mindestens einen Tag, vielleicht auch zwei Tage lang fortsetzen. Wenn wir alle an Bord haben, fährt Carson weiter, um vielleicht noch andere zu entdecken. Wir werden entweder solange hierbleiben, oder wir lassen ein paar Hüter bei den Drachen und folgen Carson in langsamerem Tempo. Das kommt auch darauf an, was der Fluss macht. Der Wasserspiegel sinkt rasch. Ich glaube, was er weiter oben mit sich gerissen hat, ist inzwischen an uns vorbei.«
»Kapitän, meiner Meinung nach hat es keinen Zweck, unsere Reise weiter zu verzögern. Wir würden nur Zeit und wertvolles Frischwasser vergeuden. Was Ihr mir über Warken berichtet, betrübt mich, aber es bestätigt auch, was ich von dem Moment an befürchtet habe, als wir uns aus dem Wasser gerettet haben. Ich bin überzeugt, dass die anderen tot sind. Und ich glaube, dass …«
»Glaub, was immer du glauben willst, Junge, aber tu es in der Küche. Auf Teermann zählt nur eine Meinung, und das ist die des Kapitäns, und, ach ja, der bin ich. Geh schon. Iss etwas. Schlafe ein bisschen. Danach wirst du dich klarer daran erinnern, wer ich bin und wer du bist und dass du dich an Bord meines Schiffes befindest.«
Mit einem Decksgehilfen, der sich derart vergessen und ihn auf diese Weise angesprochen hätte, wäre er noch um einiges unfreundlicher verfahren. Zudem sah er, dass Alise in Carsons schaukelndes Boot stieg, und er wollte zusehen, wie sie an Bord ging, ohne abgelenkt zu werden.
Der junge Mann klappte den Mund zu, und Leftrin entging der finstere Blick nicht, mit dem Greft ihn bedachte. Nun, er würde darüber hinwegkommen. Und falls nicht, würde er ihn sich beim nächsten Mal eben noch etwas gründlicher zur Brust nehmen müssen. Leftrin achtete nicht mehr weiter darauf, wie der Junge sich trollte, denn sein Blick war unentwegt auf das Boot gerichtet, das Carson quer zur Strömung zu ihm herüber paddelte.
Er gab jede weitere Verstellung auf und stieg eilig vom Dach des Deckshauses herunter. Dann stellte er sich an die Reling und wartete närrisch grinsend auf Alise. Als das Boot längsseits ging und sie ihn aus ihren grauen Augen im säureverbrannten Gesicht ansah, flog sein Herz ihr entgegen. »Oh, Alise!« Etwas anderes fiel ihm nicht ein. Ihr rotes Haar hing ihr wirr auf den Rücken. Noch immer trug sie das kupferfarbene Kleid,
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