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Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer

Titel: Rain Wild Chronicles 02 - Drachenkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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»Willst du deine Tochter anschauen, bevor sie über Bord geht?«
    »Ich … nein. Nein, ich will nicht.« Dann begann sie laut zu heulen.
    Bellin sah sie einen Moment an, bevor sie den Kopf schüttelte. »Das wird schon wieder. Bleib hier liegen, bis die Nachgeburt kommt. Ich bleibe bei dir. Skelly, nimm das Kind. Du hast mir ja schon mal geholfen und weißt, was zu tun ist.«
    »Jawohl, Bellin.« Skelly zögerte nicht, auch wenn sie blass wurde. Sie trat an die Frau heran, und Bellin überreichte ihr das Kind so behutsam, als wäre es am Leben. Bevor sich das Mädchen jedoch abwenden konnte, hielt sie es am Handgelenk zurück. »Merk dir das«, sagte sie barsch, doch die Tränen, die ihr nun über die Wangen liefen, wollten nicht zu ihrem Tonfall passen. »Merk dir das, und wenn du mal wieder glaubst, wir wären gemein zu dir, dann weißt du, dass diese Regeln ihre Gründe haben. Diese Regeln sollen verhindern, dass du dir wehtust. Alle Mädchen glauben, sie wären schlauer als die Regeln, könnten sie brechen und damit durchkommen. Aber das kannst du nicht. Und ich kann es auch nicht. Deshalb merke es dir, wenn du dich das nächste Mal zu deinem Jungen schleichst und ihn küsst und dich von ihm befummeln lässt. Die Regeln sollen nicht gemein sein, sondern sie sollen dafür sorgen, dass das Leben für alle ein bisschen weniger ungerecht wird.«
    Bellins Blick wanderte zu Sylve und Thymara. Irgendwann hatte Thymara Sylves Hand ergriffen, und auch diese klammerte sich an ihr fest. Als Bellin sie mit ihrem durchdringenden Blick fixierte, kam sie sich wie ein sechsjähriges Mädchen vor. »Ihr beide helft Skelly. Und denkt darüber nach, was ich euch gesagt habe. Und merkt euch das eine: Wenn ich euch dabei ertappe, dass ihr auf diesem Schiff für einen Jungen die Beine breitmacht, ob es nun ein Hüter oder einer von der Mannschaft ist, dann wird es schmerzhaft werden. Und demütigend. Denn das ist dann noch immer um einiges angenehmer als das, was wir heute erleben mussten.«
    Thymara brachte ein einfaches, steifes Nicken zustande. Skelly zwängte sich an ihnen vorbei, da zwischen den Pritschen nur wenig Platz war. Sie folgten ihr hinaus, und an Deck bildeten sie eine kleine Prozession. Skelly ging voran und trug das kleine Bündel. Sie schritten an Hennesey und Eider vorbei. Der Maat schüttelte traurig den Kopf, während der große Eider den Blick abwendete. Als sie sich dem Achterdeck näherten, erhob sich eine Gruppe Hüter, löste sich auf und verteilte sich auf dem ganzen Schiff. Niemand sprach sie an oder fragte, was sie vorhatten, aber Thymara war überzeugt, dass sie es alle wussten. Wie viele von ihnen wohl glaubten, der Vater des Kindes zu sein? Oder hatten sie den Gedanken aufgegeben, als Greft die Verantwortung für das Kind übernommen hatte?
    Bellins Worte lagen ihr schwer auf der Seele. Sie musste daran denken, dass Greft von einem Ort gesprochen hatte, an dem er neue Regeln hatte aufstellen wollen. Hatte er darüber nachgedacht, wieso diese Regeln existierten und wen sie schützten?
    Die Mädchen gelangten an der Reling an. Zu Thymaras Überraschung wartete Jerds Drache Veras dort auf sie. Wie die anderen Drachen war auch sie gewachsen, und ihre Farben leuchteten kräftiger. Auch wenn sie mit niemandem sprach, wussten die Frauen sehr wohl, weshalb die Drachin da war. Thymara lief es kalt über den Rücken, doch dann sah sie es ein. Jerds Totgeburt würde von ihrem Drachen gefressen werden. War das schlimmer, als den winzigen Leichnam ins Wasser zu werfen und den Fischen zu überlassen?
    Swarge stand am Steuerruder und sah ernst und traurig zu ihnen auf. Thymara begriff, dass dies nicht die erste Totgeburt war, die vor seinen Augen über Bord geworfen wurde. Er senkte den Blick, und seine Lippen bewegten sich, vielleicht sprach er ein lautloses Gebet. Skelly streckte den Arm aus und hielt das Bündel über die Reling hinaus. Veras hob den Kopf.
    »Warte«, sagte Sylve unvermittelt. »Ich will es … sie sehen. Ich will das Kind sehen, bevor es für immer verschwunden ist. Wenigstens eine von uns sollte es sich ansehen.«
    »Bist du dir sicher?«, fragte Skelly.
    »Ja«, gab Sylve zurück. Thymara brachte keinen Ton heraus, nickte aber kurz.
    Sylve setzte den kleinen Leichnam auf der Reling ab und schlug das Tuch zur Seite. Thymara erblickte ein winziges Geschöpf, das in ihrer Handfläche reichlich Platz gefunden hätte. Der runde Kopf lag auf der Brust, vor der die klitzekleinen Ärmchen gefaltet

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