Raine der Wagemutige
meine... sie kostete viele Leute das Leben“, erklärte sie endlich.
„Wusstet Ihr denn von vornherein, dass sie einen so hohen Preis würden bezahlen müssen?“
„Nein!“
„Dann, wenn das alles unabsichtlich geschah, kann Euch doch nicht die Schuld daran gegeben werden. “
„Unwissen ist keine Entschuldigung.“ Sie wiederholte die Worte so, dass er genau wusste, sie hatte sie viele, viele Male gehört.
Er starrte auf sie hinab, aber sie hielt abwehrend die Hand in die Höhe, wies ihn zurück, hielt ihn auf. „Erklärt! “ „Ich . . . ich war noch ein Kind“, sagte sie leise, gepresst und mit abgewandtem Blick. „Meine . .. Leute waren dabei, einen Verbrecher seiner gerechten Strafe zuzuführen.“
„Ein Verbrecher?“
„Ein Frauenschänder.“
Seltsam, dass er jetzt unwillkürlich zusammenzuckte, da er den Ausdruck von ihren Lippen hörte, wo er sich vor Jahren nicht nur geweigert hatte, sich irgendeine Reaktion anmerken zu lassen, sondern sogar Schlag um Schlag eingesteckt hatte, ohne sich zu verteidigen oder zu wehren.
Sie missdeutete sein Zusammenzucken und nickte. „Sie brachten ihn dorthin, wo wir wohnten, damit mein Vater die Strafe über ihn verhängte und der Gerechtigkeit Genüge tat. Aber Vater war fort, und meine Mutter flehte mich an, sie aufzuhalten.“
„Warum?“
„Weil sie fürchtete, dass, wenn unsere Leute diesen Frauenschänder aufhängten, meine Brüder zur Strafe hingerichtet werden würden.“
„Ich verstehe.“
„Ich habe getan, was sie von mir verlangte. Ich hielt sie auf . . .“, sie schlang ihre Arme fester um sich, „gerade lang genug, dass seine Familie mit einer Gruppe bewaffneter Männer eintreffen konnte. Sie töteten wie im Blutrausch, schlachteten sie ab. Sie fielen wie Getreidehalme unter der Sense. Später fand ich heraus, dass mein Bruder bereits tot war.“
Ihr Blick war glasig, ihre Miene schmerzverzerrt, als sie sich die Schrecken wieder in Erinnerung rief. Er musste sie aus ihrer Starre reißen, aus dem Blick in die entsetzliche Vergangenheit lösen, den er selbst nur zu gut kannte. „Verflucht, Favor! Was sonst hättet Ihr denn tun sollen?“ Zwischen ihren Augenbrauen entstand eine steile Falte, während sie nach einer Lösung für ein Rätsel suchte, das sie schon seit Jahren beschäftigte und auf das sie keine Antwort wusste. „Ich hätte ihnen erlauben sollen, den Jungen umzubringen. Wenn ich sie nicht aufgehalten hätte, dann hätten sie ihn hängen und längst verschwunden sein können, als die Soldaten eintrafen. Und selbst wenn sie noch nicht wieder fort gewesen wären, dann wäre wenigstens der Gerechtigkeit Genüge getan worden. Der Verbrecher hätte sein Leben gelassen.“
„Ihr habt getan, worum Eure Mutter Euch gebeten hatte“, sagte er nüchtern. „Es war nicht Euer Fehler.“
Er hatte das deutliche Gefühl, sie irgendwie im Stich gelassen zu haben, dass sie sich von ihm eine Antwort erhofft hatte, nach der sie schon seit Jahren hungerte und die sie bisher noch von niemandem erhalten hatte.
„Ich weiß“, sagte sie, als wäre er absichtlich begriffsstutzig. „Aber um ,Fehler geht es hier nicht. Genauso wenig um Schuld. Es geht darum, womit ich leben kann, was ich tun muss.“
„Und irgendeinen reichen Wicht zu heiraten ist die einzige Art und Weise, wie Ihr mit Euch leben könnt?“ fragte er in vor Sarkasmus triefendem Ton.
„Aye.“ Ihre Stimme klang wie aus weiter Ferne. „Warum kein härenes Büßergewand anlegen?“ erkundigte sich Raine bitter. „Ich bin sicher, ich kann auch irgendwo eine Geißel auftreiben, damit ich Euch bei Eurem Vergnügen behilflich sein kann. Schließlich sind wir hier auf Wanton's Blush.“
„Nicht“, sagte sie, weder ärgerlich noch gekränkt, sondern einfach schicksalsergeben. „Jetzt seid Ihr es, der unvernünftig ist, nicht ich. Ich bin nicht die erste Frau, die einen Ehemann nach dem Gesichtspunkt wählt, was er ihrer Familie einbringen kann. In der Tat habe ich es besser als die meisten, denn ich tue das aus eigenem, freiem Willen.“ Sie wandte sich Hilfe suchend an ihn. „Wäre es Euch denn lieber, wenn ich den Forderungen meines Gewissens nicht gehorchte, nur um meinem selbstsüchtigen Herzen zu folgen?“
Freude war ein scharfes Schwert, tötete ihn mit Versprechen, die niemals erfüllt würden. Er konnte kein Wort sagen. Er konnte nur reglos dort stehen und in sich auf saugen, was ihre Worte bedeuteten.
„Rafe.“ Sie lächelte, schüchtern und verloren. Er
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