Raine der Wagemutige
erhoben, bereit zuzuschlagen, mit grimmigem Gesicht. Jetzt ergibt sein Verhalten Sinn. Sie ist bei ihm gewesen, und er hat sie beschützt. Und später, während wir uns noch unterhielten, schweifte sein Blick in dem Raum umher, blieb an irgendeinem Stück Gerümpel hängen und wurde ganz weich, beinahe zärtlich. Er hat an sie gedacht.“ Sie fuhr sich mit ihrer schlanken Hand übers Gesicht. „Oh, Raine! “ „Warum sagst du das?“ fragte Fia verwundert. „Raine hat sich jetzt also ein Liebchen genommen. Was ist damit? Du kannst doch nicht wirklich überrascht davon sein! Nicht bei dem Ruf, den Raine hatte. Sogar ich habe schon Geschichten von ihm und seinen Liebesabenteuern gehört, Geschichten, die veraltet waren, als er sechzehn war.“ „Ach!“ Gunna schüttelte missbilligend den Kopf. „Ihr habt ihn nie wirklich gekannt, wenn Ihr das glaubt. Er war schon immer hitzköpfig und draufgängerisch, sofort für jeden waghalsigen Unfug zu haben, bereit, mit dem Teufel eine Wette einzugehen, aber nur, weil ihm nie jemand Einhalt geboten hat. Niemand scherte sich genug darum, was aus ihm wurde, um ihn aufzuhalten.
Er wusste bereits viel zu früh, was Mann und Frau im Bett treiben, das räume ich gerne ein, aber nichts von Liebe, weder vom Geben noch vom Nehmen. Ich habe schon immer geahnt, dass, wenn er erst einmal zu lieben lernen würde, er es auf die gleiche Art und Weise tun würde, wie alles in seinem Leben: aus tiefster Seele, draufgängerisch und ohne einen Gedanken an die Folgen oder die Gefahr für sein Herz zu verschwenden. “
„Du glaubst, dass er Miss Donne liebt?“ wollte Fia entsetzt wissen.
„Ich weiß es nicht genau“, entgegnete Gunna ausdruckslos. „Ich weiß nur, dass er es verdient, geliebt zu werden. Er hat lang genug darauf warten müssen. “
Fia lachte, beunruhigt von dem Mitgefühl und der Verwirrung, die Gunnas Erklärung in ihrem Herzen geweckt hatte. „Und was ist mit Miss Donne? Hast du irgendeine Ahnung, wie es um ihr Herz und ihren Gefühlszustand bestellt ist?“
„Sprecht nicht in diesem Ton mit mir, Lady Fia. Spart ihn Euch für Eure großspurigen Freunde auf“, ermahnte Gunna sie in scharfem Ton, und Fia senkte ihren Blick. „Ich weiß nichts von Miss Donne; vielleicht ist sie nicht besser, als sie zu sein scheint, aber Raine . . . Euer Vater hat ihm schon so viel genommen. Er darf ihm nicht auch noch sie nehmen.“
Lord Carr entkorkte das schlichte Fläschchen, das laut Auskunft des Lakaien vor wenigen Stunden von einem zerlumpt aussehenden Kesselflicker für ihn abgegeben worden war. Er schwenkte es unter seiner Nase und schnupperte vorsichtig daran.
Das Gebräu roch keineswegs ekelhaft: ein Hauch von Mandel, ein paar Orangenblüten. Aber eigentlich, so rief Carr sich ins Gedächtnis, ist es ja auch ein Liebestrank. Wonach sollte es denn riechen? Etwa Pech und Schwefel?
Rasch entzündete er die Kerzen auf seinem Schreibtisch, bevor er den Schlüssel in das Schloss über der Schubladenreihe einführte. Die Abenddämmerung war schon angebrochen, und er musste sich beeilen, wollte er alle Vorbereitungen noch rechtzeitig getroffen haben.
Er öffnete eine Schublade und holte ein schmales Tablett heraus. Verschiedene kleine Fläschchen stießen leise klirrend gegeneinander, als er es auf seinem Schreibtisch abstellte. Er nahm ein leeres Fläschchen und versah es mit einem kleinen Trichter, summte still vor sich hin, während er den Liebestrank umfüllte. Um Mitternacht würden ihm Miss Donne - und Janet - willig überallhin folgen.
Nicht, dass er das Mädchen nicht auch allein mit seinem Charme hätte für sich gewinnen können. Aber wenn eine so einfache und schnelle Lösung nun einmal zur Hand war, warum sich unnötig anstrengen?
Nachdem das Fläschchen gefüllt war, verkorkte er es und steckte es ein, bevor er das Tablett an seinen ursprünglichen Standort zurückstellte und die Schublade wieder abschloss. Im Geiste ermahnte er sich, bloß nicht zu vergessen, das Tablett mitzunehmen, wenn er Wanton's Blush verließ. Der Inhalt der Fläschchen konnte sich durchaus auch noch in London als nützlich erweisen.
Zufällig fiel sein Blick auf den Spiegel. Er blieb stehen und betrachtete sich darin, runzelte die Stirn. Nein. So ging es nicht. Man konnte eine Verführung einfach nicht in einer schlichten weißen Perücke bewerkstelligen. Er würde sich darum kümmern, dass der immer häufiger - und das dankenswerterweise - schweigsame Rankle heute Abend einen
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