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Raketenmänner (German Edition)

Raketenmänner (German Edition)

Titel: Raketenmänner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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aber darauf, seinen Bart zu stutzen. Er hatte etwas zu lange am Fenster gestanden und war spät dran.
    Gebleichte Blue-Jeans, ein weißes T-Shirt, ein schwarzes Leinenjackett. Dazu die eisgrauen, immer noch dichten Haare, die hinten auf den Kragen des Jacketts fielen, sowie der ebenfalls graue Bart: Wolff sah sich gern im Spiegel an. Diese Eitelkeit hatte er erst irgendwann nach seinem sechzigsten Geburtstag entwickelt. Vorher war ihm sein Äußeres egal gewesen. Er trug seit Jahrzehnten nichts anderes als weiße T-Shirts, die er im Zehner-Pack von einem kleinen Laden in L.   A. bezog, wo sie ihm auch alle paar Jahre neue, gebleichte Blue-Jeans besorgten. Er musste sich also morgens keine Gedanken darüber machen, was er anzog, er musste vor keinem Geschäft stehen bleiben, um sich zu überlegen, ob er nicht mal etwas Gestreiftes oder etwas Rotes kaufen sollte. Das machte das Leben sehr viel leichter.
    Es klopfte. Ein junger Kellner brachte das Frühstück.
    Kaffee, Tee, Obst, Cornflakes, Brot, Croissants, Toast, Lachs, Rührei, Schinken, Würstchen, Konfitüre, Butter, Orangensaft, Wasser – Wolff wusste nicht, was Mike üblicherweise frühstückte, also hatte er vorsichtshalber alles bestellt.
    Nachdem der Kellner das Zimmer verlassen hatte, musste Wolff nicht lange warten, bis es wieder an der Tür klopfte. Er dachte an I hear you knocking . Das Original von Smiley Lewis kannte kaum jemand. Die meisten kannten es von Fats, vielleicht noch von Dave Edmunds. Unsinnige Gedanken über nutzloses Wissen, die ihn nur davon abhielten, so schnell wie möglich die Tür zu öffnen, und genau deshalb hatte er sie ja auch gedacht, weil er sich eine Gnadenfrist ergaunern wollte, obwohl dieser Begriff, Gnadenfrist, dachte er, der völlig falsche war, denn eine Gnade war es nicht, diesen Moment noch länger hinauszuzögern, für keinen von beiden, nicht für den, der die Tür öffnete, und nicht für den, der geklopft hatte, eine Gnade sollte sein, was noch kam, dieser Tag, sein letzter.
    Hatte er gedacht, gehofft, gefürchtet, sich im anderen wiederzuerkennen? Wolff konnte es nicht sagen. Im Gesicht des Mannes, der vor ihm stand, erkannte er die Züge von dessen Mutter. Er war unrasiert, aber gut aussehend, in einem hellblauen Hemd und einer schwarzen Lederjacke, die schon einige Jahre auf dem Tacho hatte. Über der Schulter trug er eine abgenutzte Reisetasche.
    Sie waren ungefähr gleich groß, und sie wussten offenbar beide nicht, was sie tun sollten, einander die Hand reichen oder umarmen, das eine war zu distanziert, das andere zu vertraut für zwei Menschen, die sich erst das zweite Mal im Leben trafen. Für Wolff war es das dritte Mal, aber das konnte Mike nicht wissen. Sie gaben sich die Hand, und Wolff ergriff mit der Linken zusätzlich Mikes Unterarm.
    »Komm rein!«, sagte er. »Ich wusste nicht, was du zum Frühstück bevorzugst, also habe ich alles Mögliche bestellt.«
    »Nettes Zimmer«, sagte Mike.
    Wolff war gleich verunsichert und fragte sich, wie Mike das meinte. Fand er diese Suite wirklich nett oder erschien sie ihm zu groß, zu protzig?
    »So sollte man reisen«, fügte Mike hinzu. Das wirkte echt. Wolff war erleichtert.
    Mike legte seine Lederjacke auf das Bett, stellte die Tasche davor, und sie setzten sich an den Tisch. Sie tranken beide Kaffee.
    Das sieht gut aus, dachte Wolff.
    »Ich danke dir, dass du gekommen bist«, sagte er.
    Mike nickte. »Wie könnte ich nicht!«, sagte er, ohne Wolff anzusehen.
    »Ich weiß, es ist eine Zumutung, diese Reise.«
    Mike blickte auf. »Eine Reise in die Sonne ist was Feines. Die viereinhalb Jahrzehnte davor waren eher eine Zumutung.«
    Okay, dachte Wolff, das habe ich verdient, alles in Ordnung.
    »Na ja«, fuhr Mike fort, »ich will es nicht schlimmer machen, als es ist. Renate hat gut für mich gesorgt, ich habe nicht gelitten.«
    Mike nahm Rührei und Schinken und Toast, Wolff etwas Obst und Joghurt.
    »Unser Flieger geht erst am Nachmittag«, sagte Wolff.
    »Was machen wir bis dahin?«, fragte Mike.
    »Ich dachte, du hättest vielleicht Lust, deinen alten Herrn mal bei der Arbeit zu sehen.«
    Mike hob die Augenbrauen.
    »Ich habe einem jungen Musiker versprochen, auf seiner neuen Platte Klavier zu spielen.«
    Mike sah Wolff an, bis der sich lieber wieder mit seinem Obst beschäftigte.
    »Hört sich gut an«, sagte Mike.
    Während sie weiterfrühstückten, wurde Wolff langsam lockerer, und er hatte den Eindruck, dass es Mike genauso ging.
    »Du hast so einen

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